01 - Winnetou I
mußte ein jeder von uns mehr oder weniger Schauspieler sein. Wir wußten fünfzig Apachen in unmittelbarer Nähe und durften es doch nicht merken lassen. Es hing sehr vieles, ja unser Leben am nächsten Augenblick. Wir hatten angenommen, daß sie warten würden, bis wir eingeschlafen zu sein schienen; aber wie nun, wenn sie dies nicht taten, wenn sie eher über uns herfielen? Dann hatten wir zwar in den Kiowas zweihundert Helfer, aber es mußte zum Kampf, zum Blutvergießen kommen, und das konnte manchem von uns das Leben kosten. Die Katastrophe war da, und das, was ich gewußt hatte, traf zu: ich war ruhig, so ruhig, als ob es nur gelte, eine Partie Schach oder Domino zu spielen. Höchst interessant war es, die andern zu beobachten. Rattler lag lang ausgestreckt am Boden; er hatte sein Gesicht der Erde zugekehrt und stellte sich schlafend. Die Todesangst hatte ihn mit eiskalten Händen ergriffen. Seine ‚berühmten Westmänner’ stierten einander bleichen Angesichts an; sie konnten nur abgerissene Worte hervorbringen und sollten doch an unserer Unterhaltung teilnehmen. Will Parker und Dick Stone saßen so gemütlich da, als ob es in der ganzen Welt nicht einen einzigen Apachen gäbe. Sam Hawkens machte einen Witz über den anderen, und ich lachte möglichst lustig über seine Scherze.
Als in dieser Weise über eine halbe Stunde vergangen war, hatten wir die Überzeugung, daß der Überfall nach dem Einschlafen erfolgen solle, denn sonst wäre er nun längst unternommen worden. Das Feuer war ziemlich niedergebrannt, und ich hielt es für geraten, die Entscheidung nicht länger zu verzögern. Darum gähnte ich einige Male, dehnte mich und sagte:
„Ich bin müde und möchte schlafen. Ihr nicht auch, Sam Hawkens?“
„Habe nichts dagegen; werde es auch so machen“, antwortete er. „Das Feuer geht aus. Gute Nacht!“
„Gute Nacht!“ sagten auch Stone und Parker; dann rückten wir möglichst weit, aber so, daß es nicht auffallen konnte, vom Feuer weg und streckten uns da aus.
Die Flamme wurde kleiner und kleiner, bis sie ganz erlosch; nur die Asche glühte noch; ihr Schein konnte aber wegen des aufgeschichteten Holzes nicht zu uns dringen. Wir lagen alle vollständig im Dunkeln. Jetzt galt es, uns leise, ganz leise in Sicherheit zu bringen. Ich langte nach meinem Gewehr und schob mich langsam fort; Sam hielt sich an meiner Seite, und die andern folgten. Sollte einer von ihnen ja ein Geräusch verursachen, so versuchte ich, dasselbe dadurch unhörbar zu machen, daß ich, als ich die Pferde erreichte, eins derselben zum lauten Stampfen brachte, indem ich es hin und her schob; das mußte jeden verräterischen Schall übertönen. Es gelang auch wirklich allen, die Kiowas zu erreichen, welche schon wie kampfbegierige Panther auf der Lauer standen.
„Sam“, flüsterte ich diesem zu, „wenn die beiden Häuptlinge wirklich geschont werden sollen, so dürfen wir keinen Kiowa über sie lassen. Seid Ihr einverstanden?“
„Ja.“
„Ich nehme Winnetou auf mich; Ihr, Stone und Parker mögt euch an Intschu tschuna machen.“
„Ihr einen und wir drei zusammen auch nur einen? Dieses Exempel ist nicht richtig, wenn ich nicht irre.“
„Es ist richtig. Ich werde mit Winnetou schnell fertig; ihr aber müßt zu dreien sein, damit sein Vater sich gar nicht wehren kann, denn wenn er Zeit und Raum zur Verteidigung bekommt, kann dies für ihn leicht Verletzungen oder gar den Tod nach sich ziehen.“
„Well, habt recht! Aber, damit uns da kein Kiowa zuvorkommt, wollen wir ein Stückchen avancieren, damit wir dann gleich die ersten sind. Kommt!“
Wir postierten uns dem Feuer mehrere Schritte näher und warteten nun in größter Spannung auf das Kampfgeschrei der Apachen, denn daß sie den Angriff ohne dieses nicht unternehmen würden, stand zu erwarten. Es ist ihre Gewohnheit, daß der Anführer durch einen Schrei das Zeichen dazu gibt, und dann stimmen die anderen in möglichst höllischer Weise ein. Dieses Geheul hat den Zweck, den Angegriffenen den Mut zur Gegenwehr zu rauben. Man kann es so, wie es bei den meisten Stämmen klingt, dadurch nachahmen, daß man im höchsten Fistelton ein langes „Hiiiiiiiii!“ ausstößt und dabei mit der flachen Hand sehr schnell aufeinander folgende Schläge gegen die Lippen führt, so daß der Ton als Triller zu hören ist.
Die Kiowas befanden sich in derselben Spannung wie wir. Jeder von ihnen wollte gern auch der erste sein, und darum drängten sie nach vorn, so daß wir
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