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01 - Winnetou I

01 - Winnetou I

Titel: 01 - Winnetou I Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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lesen konnte, doch glaubte ich, die beiden Worte Office und surveying gesehen zu haben. Bald stellte es sich heraus, daß ich mich nicht geirrt hatte.
    Es saßen drei Herren da, welche ihn sehr freundlich und mich höflich und mit nicht zu verbergender Neugierde empfingen. Karten und Pläne lagen auf den Tischen; dazwischen gab es allerlei Meßinstrumente. Wir befanden uns in einem geodätischen Büro.
    Welchen Zweck mein Freund mit diesem Besuch verfolgte, war mir unklar; er hatte keine Bestellung, keine Erkundigung vorzubringen; er schien nur der freundschaftlichen Unterhaltung wegen gekommen zu sein. Diese kam allerdings sehr bald in einen lebhaften Gang, und es konnte nicht auffallen, daß sie sich schließlich auch auf die Gegenstände, welche sich hier befanden, erstreckte; dies war mir lieb, denn da konnte ich mich besser beteiligen, als wenn von amerikanischen Dingen oder Verhältnissen gesprochen worden wäre, die ich noch nicht kannte.
    Henry schien sich heut außerordentlich für die Feldmeßkunst zu interessieren; er wollte alles wissen, und ich ließ mich gern so tief in das Gespräch ziehen, daß ich endlich immer nur Fragen zu beantworten, den Gebrauch der verschiedensten Instrumente zu erklären und das Zeichnen von Karten und Plänen zu beschreiben hatte. Ich war wirklich ein tüchtiges Greenhorn, denn ich merkte nicht die Absicht heraus. Erst als ich mich über das Wesen und die Unterschiede der Aufnahme durch Koordinaten, der Polar- und Diagonalmethode, der Perimetermessung, des Repetitionsverfahrens, der trigonometrischen Triangulation ausgesprochen hatte und dabei die Bemerkung machte, daß die drei Herren dem Büchsenmacher heimlich zuwinkten, wurde mir die Sache auffällig, und ich stand von meinem Sitz auf, um Henry anzudeuten, daß ich zu gehen wünschte. Er weigerte sich nicht, und wir wurden – jetzt auch ich – noch freundlicher entlassen, als der Empfang gewesen war.
    Als wir dann so weit gegangen waren, daß man uns von dem Büro aus nicht mehr sehen konnte, blieb Henry stehen, legte mir die Hand auf die Schulter und sagte, indem sein Gesicht in heller Genugtuung leuchtete:
    „Sir, Mann, Mensch, Jüngling, Greenhorn, aber habt Ihr mir eine Freude gemacht! Ich bin ja förmlich stolz auf Euch!“
    „Warum?“
    „Weil Ihr meine Empfehlung und die Erwartung dieser Leute noch übertroffen habt!“
    „Empfehlung? Erwartung? Ich verstehe Euch nicht.“
    „Ist auch nicht nötig. Die Sache ist aber sehr einfach. Ihr behauptetet kürzlich, etwas von der Feldmesserei zu verstehen, und um zu erfahren, ob dies etwa nur Flunkerei gewesen sei, habe ich Euch zu diesen Gentlemen, die gute Bekannte von mir sind, geführt und Euch von ihnen auf den Zahn fühlen lassen. Es ist ein sehr gesunder Zahn, denn Ihr habt Euch höchst ehrenvoll herausgebissen.“
    „Flunkerei? Mr. Henry, wenn Ihr mich solcher Dinge für fähig haltet, werde ich Euch nicht mehr besuchen!“
    „Laßt Euch nicht auslachen! Ihr werdet mich alten Kerl doch nicht der Freude berauben, die mir Euer Anblick macht! Wißt schon, wegen der Ähnlichkeit mit meinem Sohn! Seid Ihr vielleicht einmal beim Pferdehändler gewesen?“
    „Täglich des Morgens.“
    „Und habt den Rotschimmel geritten?“
    „Ja.“
    „Wird etwas aus dem Pferd?“
    „Will es meinen. Nur bezweifle ich, daß der, welcher es kauft, so gut mit ihm auskommen wird wie ich. Es hat sich nur an mich gewöhnt und wirft jeden anderen ab.“
    „Freut mich, freut mich ungeheuer; es will also, wie es scheint, nur Greenhorns tragen. Kommt einmal mit durch diese Seitenstraße! Weiß da drüben ein famoses dining-house, in welchem man sehr gut speist und noch besser trinkt. Das Examen, welches Ihr heut so vortrefflich bestanden habt, muß gefeiert werden.“
    Ich konnte Henry nicht begreifen; er war wie umgetauscht. Er, der einsame, zurückhaltende Mann, wollte in einem dining-house essen! Auch sein Gesicht war ein anderes als gewöhnlich, und seine Stimme klang heller und froher als sonst. Examen, hatte er gesagt. Das Wort fiel mir auf, konnte hier aber ein ganz bedeutungsloser Ausdruck sein.
    Von diesem Tag an besuchte er mich täglich und behandelte mich wie einen lieben Freund, den man bald zu verlieren befürchtet. Aber einen Stolz über diese Bevorzugung ließ er in mir nicht aufkommen; er hatte stets einen Dämpfer bereit, welcher in dem fatalen Wort Greenhorn bestand.
    Sonderbarerweise hatte sich zu derselben Zeit auch das Verhalten der Familie, in der ich wirkte,

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