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01 - Winnetou I

01 - Winnetou I

Titel: 01 - Winnetou I Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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werden muß, und ist das kostbarste Eigentum eines jeden Indianers. Medizin verloren, Ehre verloren. So ein Unglücklicher kann sich nur dadurch rehabilitieren, daß er einen berühmten Feind tötet und dann dessen Medizin vorzeigt; sie wird die seinige.
    Man kann also denken, welche Strafe es für den Wächter war, daß ihm seine Medizin entrissen und zertreten wurde. Er sagte kein Wort der Entschuldigung oder des Zornes, schulterte sein Gewehr und verschwand zwischen den Bäumen. Er war von heut an für seinen Stamm tot und konnte nur in dem oben angegebenen Fall wieder aufgenommen werden.
    Die Wut des Häuptlings richtete sich nicht nur gegen diesen Schuldigen, sondern auch gegen mich. Er kam auf mich zu und schrie mich an:
    „Du wolltest diese zwei Hunde für dich haben. Lauf ihnen doch nach und fange sie wieder ein!“
    Ich wolle mich von ihm abwenden, ohne zu antworten, da ergriff er mich beim Arm und rief:
    „Hast du gehört, was ich dir befohlen habe? Verfolgen sollst du sie!“
    Ich schüttelte ihn von mir ab und antwortete:
    „Befohlen? Hast du mir zu befehlen?“
    „Ja, denn ich bin der Häuptling dieses Lagers, und Ihr habt mir zu gehorchen!“
    Da zog ich die Sardinenbüchse aus der Tasche und sagte:
    „Soll ich dir die richtige Antwort geben, indem ich dich mit allen deinen Kriegern in die Luft sprenge? Sprich noch ein Wort, was mir nicht gefällt, und ich vertilge euch alle mit dieser Medizin!“
    Ich war neugierig, ob dieses Possenspiel die beabsichtigte Wirkung hervorbringen werde. Ja, und wie! Er wich weit zurück und schrie:
    „Uff, uff! Behalte diese Medizin für dich, und sei ein Hund, wie jeder Apache einer ist!“
    Das war eine Beleidigung, die ich wohl nicht so ruhig hingenommen hätte, wenn es nicht klug gewesen wäre, auf seine Aufregung und die Überzahl seiner Leute Rücksicht zu nehmen. Wir Weißen kehrten nach unsere Lagerstelle zurück, wo das Ereignis natürlich von allen Seiten beleuchtet wurde, ohne daß einer die gewünschte Erklärung fand. Ich schwieg nicht nur gegen die andern, sondern auch gegen Sam, Dick und Will. Es gab mir heimlich Spaß, die Erklärung dieses plötzlichen Verschwindens der Gefangenen in den Händen zu haben, während sie so eifrig und doch vergeblich danach suchten. Die Haarlocke Winnetous habe ich auf allen meinen Wanderungen durch den Westen bei mir getragen und besitze sie heute noch. – – –

VIERTES KAPITEL
    Zweimal um das Leben gekämpft
    Das Verhalten der Kiowas ließ uns, obgleich wir sie nicht als ausgesprochene Feinde betrachten konnten, für unsere Sicherheit besorgt sein. Darum wurde, als wir uns wieder schlafen legten, bestimmt, daß wir, einander stündlich abwechselnd, bis zum Morgen wachen wollten. Dies geschah, und die Roten bemerkten natürlich, daß wir diese Vorsichtsmaßegel getroffen hatten; es verstand sich ganz von selbst, daß sie uns das übelnahmen und nun noch weniger Freundschaft für uns fühlten als vorher.
    Als der Tag anbrach, weckte uns unser Wächter. Wir sahen, daß die Kiowas beschäftigt waren, nach den Spuren der entflohenen Häuptlinge zu suchen, die sie in der Nacht nicht hatten finden können. Sie trafen auf die Fährte und folgten ihr; sie führte nach der Stelle, an welcher die Apachen vor dem Überfall ihre Pferde zurückgelassen hatten, natürlich unter der Beaufsichtigung einiger Wächter. Intschu tschuna und Winnetou waren mit diesen Wächtern fortgeritten und hatten keines der Pferde mitgenommen, sondern sie alle stehen gelassen. Als wir dies erfuhren, machte Sam Hawkens eines seiner listigen Gesichter und fragte mich:
    „Könnt Ihr Euch vielleicht denken, Sir, weshalb die beiden Häuptlinge dies getan haben?“
    „Ja. Es ist gar nicht schwer, es zu erraten.“
    „Oho, Sir! So ein Greenhorn, wie Ihr seid, darf sich ja nicht einbilden, aus reinem Zufall gleich auf den richtigen Gedanken zu kommen. Es gehört Erfahrung dazu, meine Frage zu beantworten.“
    „Die habe ich ja!“
    „Ihr? Erfahrung? Möchte wissen, woher die Euch kommen sollte! Wollt Ihr mir das vielleicht sagen?“
    „Warum nicht? Die Erfahrung, welche ich meine, habe ich aus Büchern geschöpft.“
    „Wieder Eure Bücher! Es mag Euch einmal glücken, etwas gelesen zu haben, was Euch hier Nutzen bringt; aber da dürft Ihr doch nicht gleich denken, daß Ihr die Gescheitheit nur so mit Löffeln gegessen habt. Ich werde Euch gleich beweisen, daß Ihr nichts, aber auch gar nichts wißt. Also, warum haben die beiden entflohenen

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