01 - Winnetou I
fertig genug. Es ist so schwer, daß ich nicht einmal weiß, ob es mir gelingen wird. Seht nur einmal her, Sir! Schon das Anschleichen bis dorthin ist ein wahres Meisterstück, und wenn man glücklich bei ihnen angekommen ist, dann – – – good lack! Was ist denn das?“
Er hatte seine Augen auf die Apachen gerichtet gehabt und hielt mitten in seiner Rede inne, weil sie eben jetzt von ihren Bäumen verschwanden. Ich tat, als ob ich das nicht gesehen hätte, und fragte:
„Was ist los? Warum sprecht Ihr nicht weiter?“
„Warum? Weil – – – weil – – – ist es denn richtig oder täusche ich mich?“
Er rieb sich die Augen und fuhr dann fort:
„Ja, bei Gott, es ist richtig! Dick, Will, schaut doch einmal hin, ob ihr Winnetou und Intschu tschuna noch seht!“
Sie wendeten sich nach der betreffenden Seite und wollten eben ihrem Erstaunen Ausdruck geben, als der Wächter, der die ihm Anvertrauten jetzt auch vermißte, aufsprang, die beiden verlassenen Bäume einige Augenblicke lang anstarrte und dann einen lauten, durchdringenden Schrei ausstieß. Dieser weckte sämtliche Schläfer. Der Wächter schrie ihnen das Geschehene in seiner Sprache, die ich nicht verstand, zu, und nun gab es ein Tumult, welcher ganz unbeschreiblich war.
Alles rannte nach den Bäumen, die Weißen auch alle. Ich folgte ihnen, denn ich mußte so tun, als ob ich gar nichts wisse. Dabei zog ich die Tasche heraus, kehrte sie um und ließ den Sand zu Boden fallen.
Schade, daß ich nur Winnetou und Intschu tschuna hatte losmachen können! Wie gern hätte ich noch mehrere, am liebsten alle befreit, aber es hätte an Verrücktheit gegrenzt, dies auch nur zu versuchen.
Zweihundert und noch mehr Menschen umdrängten die beiden Stellen, an denen die Entflohenen noch vor wenigen Augenblicken gestanden hatten. Dabei gab es ein Geschrei oder ein Wutgeheul, welches mir sehr deutlich sagte, was meiner erwartete, falls die Wahrheit an den Tag kommen sollte. Endlich gebot Tangua Ruhe und erteilte seine Befehle, auf welche wenigstens die Hafte seiner Leute forteilte, um sich draußen auf der Savanne zu zerstreuen und trotz der Dunkelheit nach den Entflohenen zu suchen. Der Häuptling schäumte förmlich vor Wut. Er schlug dem unaufmerksamen Wächter mit der Faust in das Gesicht und riß ihm den Medizinbeutel vom Hals, um denselben unter die Füße zu treten. Damit war der arme Teufel für ehrlos erklärt.
Man darf nämlich nicht etwa auf Grund des Wortes Medizin annehmen, daß es sich dabei um ein Arznei- oder Heilmittel handle. Das Wort Medizin ist bei den Indianern erst nach dem Auftreten der Weißen in Gebrauch gekommen. Die Heilmittel der Bleichgesichter waren ihnen unbekannt, und sie hielten die Wirkungen derselben für die Folgen eines Zaubers, eines mit dem Übersinnlichen in Verbindung stehenden Geheimnisses. Seitdem bezeichnen sie alles, was sie für Zauberei halten oder was ihnen nicht erklärlich ist, was sie für die Folgen eines höheren Einflusses, einer höheren Eingebung halten, mit dem Wort Medizin. Natürlich hat jeder Stamm auch einen eigenen, seiner Sprache angehörigen Ausdruck dafür. So heißt Medizin in der Sprache der Mandans Hopenesch, der Tuskaroras Yunnjuh queht, der Schwarzfüße Nehtowa, der Sioux Wehkon und der Riccarehs Wehrootih.
Jeder erwachsene Mann, jeder Krieger hat eine Medizin. Der Jüngling, welcher unter die Männer, die Krieger aufgenommen werden will, verschwindet plötzlich und sucht die Einsamkeit auf. Dort fastet und hungert er und versagt sich sogar den Genuß des Wassers. Er denkt über seine Hoffnungen, Wünsche und Pläne nach. Die Anstrengung des Geistes, verbunden mit solchen körperlichen Entbehrungen, versetzt ihn in einen fieberhaften Zustand, in welchem er den Schein von der Wirklichkeit nicht mehr zu unterscheiden weiß. Er glaubt, höhere Eingebungen zu empfangen; der Traum ist ihm dann eine überirdische Offenbarung. Hat er dieses Stadium erreicht, so wartet er auf den ersten Gegenstand, der ihm vom Traum oder sonstwie vorgegaukelt wird, und dieser ist ihm dann fürs ganze Leben heilig, ist seine ‚Medizin’. Sollte dieser Gegenstand zum Beispiel eine Fledermaus sein, so ruht er nicht, bis er eine solche fängt. Ist ihm dies gelungen, so kehrt er mit ihr zum Stamm zurück und übergibt sie dem Medizinmann, dem Zauberer, welcher sie zu präparieren hat. Sie findet ihren Platz in dem verschieden-, jedoch stets eigenartig ausgestatteten Medizinbeutel, welcher stets getragen
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