010 - Die Todesengel
sei, die du deinen Mitmenschen schuldest? Hast du andere getötet, weil du nicht die Kraft hattest, deinem Leben selbst ein Ende zu setzen?«
Betty sank schluchzend zu Boden. »Quäle mich nicht länger!« bat sie mit gebrochener Stimme. »Bring mir endlich den Tod, den ich mir ersehne!« Sie hatte das Gesicht zwischen den Händen verborgen, den Körper vorgeneigt, das eine Bein etwas angezogen. So lag sie erwartungsvoll da. Lange. Als nichts passierte, wagte sie es endlich, den Kopf zu heben.
Der schwarze Todesengel war verschwunden.
Owen Grovers ging unruhig in seinem Zimmer auf und ab. Er hatte ein flaues Gefühl im Magen und fühlte sich hundeelend. Wenn er nicht bald einen Schluck bekam, drehte er noch durch. Wer war auf die hundsgemeine Schnapsidee gekommen, das Treffen auf acht zu verlegen? Er starrte auf den Sekundenzeiger seiner Armbanduhr, als könnte er ihn so dazu bewegen, sich schneller zu drehen. Aber die Zeit verstrich trotzdem quälend langsam – langsamer vielleicht, als wenn er die Sekunden nicht gezählt hätte.
Plötzlich krümmte sich Grovers wie unter Schmerzen und preßte die Hände gegen den Magen, als könnte er dadurch die Krämpfe lindern. Als er wieder hochsah, stand vor ihm eine seltsame Erscheinung. Eine schlanke, zierliche Gestalt, ganz in Schwarz. Das Gesicht war eine Engelsmaske.
Der schwarze Todesengel.
Grovers stierte ihn aus blutunterlaufenen Augen an. Soweit ist es also schon mit mir gekommen , dachte er. Delirium tremens!
»Du glaubst nicht, daß ich Wirklichkeit bin«, sagte der Todesengel. »Du glaubst, eine Halluzination zu haben, weil du weißt, daß dir der Todesengel nicht erscheinen kann, Owen.«
Grovers wich kopfschüttelnd bis an die Wand zurück und wischte sich über die Augen, aber die Erscheinung blieb.
»Du bist ein elender Säufer. Unheilbar. Ein menschliches Wrack«, sagte der Todesengel.
Vor Grovers' Augen begann alles zu verschwimmen. In seinen Gedärmen rumorte es. Er überkreuzte die Beine und preßte sie fest zusammen, um dem inneren Druck entgegenzuwirken.
»Du bist eine erbärmliche Kreatur«, fuhr der Schwarze fort, der für Grovers nur ein verwaschener Fleck war. »Du hättest den Tod eher verdient als alle anderen. Aber du glaubst nicht, daß er auch zu dir kommt. Du hältst alles nur für einen Scherz.«
Grovers war blaß geworden. Er kämpfte immer noch gegen den explosiven Druck in seinen Gedärmen an.
»Nein«, stammelte er. »Nein – bitte, ich …«
»Du warst es, der bisher immer diese Maske getragen hat, Owen!« rief der schwarze Todesengel anklagend.
Grovers hatte den Kampf gegen sich verloren. Er konnte nicht mehr anders, er mußte sich entleeren. Mit einem tierischen Aufschrei stürzte er auf die Toilette, ohne sich die möglichen Konsequenzen zu überlegen. Er schloß sich in der Toilette ein und wagte sich über eine Viertelstunde lang nicht mehr hinaus. Als er sich dann endlich überwand und die Tür einen Spaltbreit öffnete, war die Erscheinung verschwunden.
Gene Hallowell zuckte mit keiner Wimper, als er sich plötzlich dem schwarzen Todesengel gegenübersah. Er kam gerade aus dem Geräteschuppen in seinen Bungalow zurück. Der schwarze Engel stand hochaufgerichtet im Flur, der das Wohnzimmer mit dem Schlafzimmer verband. Eine Weile starrten sie sich schweigend an, dann war es schließlich Gene Hallowell, der zuerst sprach.
»Ich brauche Ihre Gnade nicht«, sagte er.
»Du weißt, wer ich bin?« fragte der Todesengel mit offenbar verstellter Stimme.
Der Gärtner nickte.
»Dann sage es mir!«
»Sie sind jemand, der Gutes will.«
»Daran glaubst du? Hast du keine Angst?«
»Jemand, der Blumen liebt, kann mich nicht erschrecken.«
»Wieso weißt du, daß ich Blumen liebe?«
»Ich habe Sie in vielen Nächten draußen im Park gesehen, wie Sie die Blumenbeete gepflegt haben. Ich wollte mich oft mit Ihnen unterhalten, aber Sie liefen immer vor mir davon.«
»Wieso hast du nie mit mir darüber gesprochen, wenn ich ohne Maske war?«
»Ohne Maske?«
Das schien für Gene Hallowell unvorstellbar.
»Dann kennst du gar nicht meinen Namen?«
Gene Hallowell schüttelte den Kopf. Für ihn war der schwarze Todesengel der schwarze Todesengel. Daß dieser noch einen anderen Namen haben sollte, das ging über seinen Horizont.
»Warum möchtest du meine Gnade nicht empfangen, Gene?«
»Wer sollte denn den Park pflegen, wenn ich nicht mehr da bin?« fragte der Gärtner zurück. »Ich muß auf die Blumen aufpassen, damit sich
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