010 - Die weiße Hexe
wegen Mago, und zweitens, weil sie nach langer Zeit Oda wiedersehen würde.
Ich sah, wie die Hexe aus dem Jenseits und der Ex-Dämon das Gasthaus betraten, und spuckte mir in die Hände. Ich kurbelte den Peugeot mit dem Wagenheber hoch, nahm die Radkappe ab und entfernte die vier Muttern. Dann ließ ich das Reserverad, das sich unter dem Kofferraum befand, herunterfallen, rollte es nach vorn und steckte es auf.
Muttern anziehen, Wagenheber runterkurbeln, Muttern nachziehen, Radkappe rauf, defektes Rad in die Halterung, Wagenheber verstauen – fertig. Meine Hände waren schmutzig. Ich würde sie mir in dem Zimmer waschen, in dem sich Oda befand.
Dachte ich.
Aber jemand hatte etwas dagegen, daß ich das Gasthaus betrat: Einer von Magos Schergen. Er schälte sich urplötzlich aus der Finsternis – und starrte mich feindselig an…
***
»Wieso ist denn dein Hals so rot?« fragte Peggy Desmond.
Dinsdale Lamb zog ärgerlich die Brauen zusammen. Es ging ihm schon wieder besser, aber der Schock, beinahe das Leben verloren zu haben, steckte noch tief in seinen Knochen.
»Claudia fliegt.«
»Hat sie das getan?« wollte Peggy ungläubig wissen.
»Wer denn sonst?«
»Das gibt’s doch nicht, Dinsdale.«
»Denkst du, ich lüge? Sie war es. Ich wollte… Ich habe …«
»Ich kann mir denken, was du getan hast«, sagte Peggy schmunzelnd.
»Na ja, ist das ein Grund, darauf so zu reagieren? Sie wollte mich glatt erwürgen.«
»Claudia? Das schafft sie doch gar nicht.«
»Dachte ich auch, aber sie hat mich eines Besseren belehrt.«
Peggy sah ihn zweifelnd an. Er sah nicht so aus, als wollte er sie auf den Arm nehmen. Und die Würgemale hatte er sich bestimmt auch nicht selbst zugefügt. Aber daß Claudia Clooney ihn wirklich töten wollte, konnte sie einfach nicht glauben. Das paßte nicht zu ihr. Und wenn Dinsdale sie betatscht hatte, war das für sie noch lange kein Grund, darauf so sauer zu reagieren. Claudia war noch nie ein Kind von Traurigkeit gewesen. Sie hatte sehr viel für Männer übrig. Wenn sie einer mal da anfaßte, wo es sich nicht gehörte, ging sie deswegen nicht gleich hoch. Irgend etwas konnte an dieser Geschichte nicht stimmen.
Peggy lehnte sich gegen Lamb. »Bist du jetzt sehr enttäuscht vom weiblichen Geschlecht, Dinsdale?«
»Ach was.«
»Claudia ist nicht sehr nett zu dir gewesen.« Peggy rieb ihre Schulter an seiner Brust. »Ich finde, dafür muß dich jemand entschädigen. Ich werde dich nachher trösten, okay? Du wirst schnell vergessen, was Claudia dir angetan hat, das verspreche ich dir.«
Ihm schien der Appetit gründlich vergangen zu sein. Aber Peggy war zuversichtlich, den Hunger auf Sex in Dinsdale Lamb wieder wecken zu können. Sie wußte, wie man so etwas anstellen mußte.
»Du besitzt doch so ein rotes Halstuch«, sagte Lamb.
»Ja.«
»Leih es mir.«
Peggy holte es ihm. Er band es sich um den Hals, damit die Leute später die roten Flecken nicht sehen konnten. Seine Gedanken beschäftigten sich mit Claudia Clooney, mit der er nie wieder zusammenarbeiten wollte. Sie war für ihn gestorben. Selbst wenn sie sich bei ihm entschuldigt hätte, wäre sie für ihn erledigt gewesen.
Er wollte nichts mehr von ihr wissen.
***
Claudia, die Besessene, hatte einen Auftrag. Sie suchte Oda, die weiße Hexe. Im ersten Stock des Gasthauses ging sie von Zimmer zu Zimmer. Nummer 1 war nicht belegt. Nummer 2 auch nicht. An den Türen steckten die Schlüssel. Claudia war gewissenhaft. Sie ging nicht achtlos an den Zimmern vorbei, sondern öffnete die Türen, knipste das Licht an und warf einen Blick in die Räume. Sie mußte hundertprozentig sicher sein, daß sich Oda in keinem der Räume verbarg.
Das Mädchen im zyklamefarbenen Trikot schlich den Gang weiter. Im Schloß von Nummer 3 steckte kein Schlüssel.
Claudia Clooney legte die Hand auf die Klinke. Vorsichtig drückte sie sie nach unten. Die Tür ließ sich nicht öffnen. Die Besessene ging in die Hocke und linste durch das Schlüsselloch.
Der Schlüssel steckte innen. Folglich war das Zimmer belegt.
Vielleicht mit Oda?
Schritte auf der Treppe. Claudia Clooney schaute sich gehetzt um. Wo sollte sie sich verstecken? Ihr Blick fiel auf eine Tür, die keine Nummer hatte. Mit wenigen Schritten erreichte sie sie, öffnete sie, huschte in den dahinterliegenden finsteren Raum und schloß die Tür hinter sich vorsichtig.
Einen kurzen Blick auf ein junges Mädchen erhaschte sie noch, das mit Leintüchern den Gang entlanglief. Das
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