010 - Die weiße Hexe
offen zu.« Ich erinnerte mich noch sehr gut an meine erste Begegnung mit dem Schwarzmagier. Er hatte bewiesen, daß er imstande war, eine Menge höllischer Register zu ziehen.
Wenn man nicht verteufelt aufpaßte, kam man verdammt schnell unter die Räder.
Nicht umsonst hatte die Hölle gerade ihn zum Jäger der abtrünnigen Hexen bestimmt. Er hatte etwas auf dem Kasten, und es war ratsam, den Schwarzmagier mit größter Vorsicht zu genießen.
Ich merkte, daß wir unser Ziel gleich erreicht haben mußten, und drosselte die Geschwindigkeit ein wenig.
Augenblicke später erblickte ich das Gasthaus, in dem wir von Ian Ekenberry, Bruce Perkins und Oda, der weißen Hexe, erwartet wurden. Insgeheim hoffte ich, daß Magos Schergen die Spur der Hexe noch nicht gefunden hatten. Es sollte sich schon in wenigen Minuten herausstellen, daß sich meine Hoffnung nicht mehr erfüllen konnte…
***
Er hieß Larry Davis, war groß und kräftig, nicht unbedingt eine Schönheit, trug verwaschene Jeans und einen anthrazitfarbenen Rollkragenpullover.
Sein Job war es, die Leute mit dem Bus durch die Gegend zu kutschieren. Fünfmal in der Woche machte er das. Immer dieselbe Strecke. Allmählich hing es ihm zum Hals heraus, aber es war immer noch besser, als acht Stunden in einer Fabrik am Fließband zu arbeiten.
Es gefiel ihm nicht, daß am Ende jeder Fahrt die Menschen von Dinsdale Lamb hereingelegt wurden. Aber er konnte nichts dagegen tun. Er mußte den Mund halten. Er hatte A gesagt, folglich mußte er auch B sagen. Und er versuchte über die Gaunereien Lambs hinwegzusehen.
Nur wenn Lamb sich an alte, hilflose Menschen heranmachte, sah er immer noch rot. Erst neulich hatte er deswegen mit Lamb nach der Veranstaltung einen heftigen Streit gehabt.
»Das hat dich nicht zu kümmern!« hatte Lamb ihm eiskalt ins Gesicht gesagt.
»Sag mal, kommst du dir nicht schäbig vor?« hatte er gefragt.
»Ich werde dafür bezahlt…«
»Für Geld tust du wohl alles, wie? Du würdest dem Teufel sogar deine Seele verkaufen.«
Lamb grinste. »Vielleicht habe ich das schon getan.«
»Zuzutrauen wär’s dir.«
»Hör mal, Larry, sehen wir den Tatsachen doch mal ins Auge. Jeder muß leben. Ich, du – jeder. Und jeder hat einen Job. Du fährst mit Leuten ins Grüne. Ich knöpfe ihnen ihr Geld ab. Glaube nicht, daß du auch nur um einen Deut besser bist als ich. Du kannst nicht sagen, du fährst nur Autobus, alles andere geht dich nichts an, denn du weißt haargenau, was ich am Ende jeder Fahrt tun werde.«
»Eben, weil es mich auch etwas angeht, will ich nicht, daß du diese simplen alten Menschen, die dir blind vertrauen, übers Ohr haust.«
»Ich muß was umsetzen, geht das denn nicht in deinen Schädel rein? Wenn ich zuwenig verkaufe, schmeißt mich die Firma raus und sucht sich einen Mann, der besser ist. Ich kann es mir nicht leisten, auf irgend jemand Rücksicht zu nehmen. Das Leben ist hart, mein Junge. Und ich bin es mit der Zeit auch geworden. Du wirst es auch noch werden.«
»Das glaube ich nicht.«
»Warte ab. In zwei, drei Jahren ist dir alles egal.«
Larry Davis konnte sich das nicht vorstellen. Er würde immer auf der Seite der Schwächeren stehen. Das gehörte zu seinem Naturell.
Dinsdale Lambs Absahn-Tour stand kurz bevor. Der Busfahrer wollte nicht dabeisein, wenn Lamb den Leuten wieder doppelzüngig und gerissen die Haare schnitt, deshalb verließ er den Festsaal – und sah, was Claudia Clooney mit Lamb machte!
Er hatte das Gefühl, jemand würde ihn mit Eiswasser übergießen.
Er wurde schlagartig bleich. Mein Gott! schoß es ihm durch den Kopf. Das Mädchen bringt Dinsdale um!
Man konnte ihn zwar nicht gerade als Dinsdale Lambs besten Freund bezeichnen, aber so etwas konnte und wollte er nicht zulassen. Er hätte es begrüßt, wenn sich mal jemand gefunden hätte, der Lamb tüchtig verprügelte. Doch in diesem Augenblick sollte Dinsdale Lamb sein Leben verlieren!
Larry Davis startete.
Es war ihm unverständlich, wie Claudia Clooney so stark sein konnte. Sie sah rein äußerlich wesentlich schwächer als Lamb aus.
Und doch war sie drauf und dran, Dinsdale Lamb zu erwürgen!
»Claudia!« keuchte Davis. »Um Himmels willen, Claudia! Was tust du? Laß ihn los! Laß Lamb auf der Stelle los!«
Claudia schien ihn nicht zu hören. Larry Davis packte sie und riß sie zurück.
»Hast du den Verstand verloren?« schrie er sie an.
Lamb lehnte kreideweiß an der Wand. Er massierte seinen schmerzenden Hals, das Haar
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