0105 - Rückkehr aus dem Geistergrab
hätte sich sicher die schlimmsten Verletzungen zugezogen, wenn er heimlich den Reif berührt hätte.
Aber irgendwie war es Houdain gelungen, die Reizschwelle des armen Abbé heraufzusetzen. Er konnte unter Aufbietung aller Kräfte das Amulett aus dem Zimmer schaffen. Wie gehetzt lief er die Treppe hinunter und steuerte den Brunnen an.
Auf dem Hof, hinter der Kneipe »Au Relais«, gab es einen alten Ziehbrunnen, der noch in Betrieb war. Ein Holzdeckel verschloß ihn.
Lapin schaute sich gehetzt um. Dann lüftete er den Deckel und schob das Amulett durch. Gespannt wartete er, bis er das Wasser platschen hörte. Beruhigt ließ er den Decken wieder herunterfallen.
Er grinste verschmitzt, fühlte sich erleichtert und war stolz auf das, was er getan hatte. Daß damit die Festung sturmreif wurde, Zamorra seinen besten Verbündeten im Kampf gegen die Mächte der Finternis verloren hatte, kam Lapin nicht zu Bewußtsein. Er wurde beherrscht von einem anderen Geist, sein Bewußtsein blockiert von einem fremden Willen. Houdain stiftete Unheil in Mazamet, ohne selbst aufzutauchen. Er ließ andere für sich kämpfen, bis seine Stunde gekommen war. Die Stunde der Vergeltung…
Ein Mann wie Houdain gab sich niemals geschlagen. Brauchte er auch nicht, solange er einen Mann wie Lapin in seinen Diensten hatte.
Der Abbé kehrte ins Haus zurück und fand eine völlig verwandelte Nicole wieder. Und einen überglücklichen Zamorra.
»Sehr schön«, nickte der Abbé, als freue er sich über den Erfolg der Partei, der er gerade schlimmen Schaden zugefügt hatte.
Lapin seufzte.
»Allerdings sind unsere Leute nicht so erfolgreich gewesen«, schränkte er ein. Es sollte bedauernd klingen, wirkte aber eher wie versteckter Triumph. »Sie haben alles abgesucht, was sich nur entfernt als Versteck für den Scharfrichter eignet. Aber sie haben nichts gefunden.«
»Mit dem werden wir auch noch fertig«, tröstete Zamorra.
»Sicher, sicher«, grinste Lapin. »Aber die Leute fürchten sich. Sie verbarrikadieren sich in den Häusern. Was bei solchem Spuk, wie wir ihn erlebt haben, wenig Sinn haben dürfte.«
»Das ist richtig. Aber solange es ihnen ein, wenn auch trügerisches Gefühl der Sicherheit verleiht, wollen wir nichts dagegen unternehmen«, meinte Zamorra. »Die Leute würden mich ohnehin nur stören. Sie sind einem solchen Kampf nicht gewachsen«
Zamorra strich sich über die müden Augen. Viel lag hinter ihm. Noch mehr würde auf ihn einstürmen. Heute nacht fiel die Entscheidung zwischen den Mächten der Verdammnis und den guten Kräften.
»Ich sollte Sie jetzt in die Mangel nehmen, Abbé«, schlug Zamorra vor. »Fühlen Sie sich fit genug, um sich einer solchen Roßkur zu unterziehen, Lapin?«
»Das hat Zeit«, lehnte der Abbé ab, noch ehe er einen Entschluß überdacht haben konnte. Er tat es so hastig und übereifrig, daß der Professor stutzig wurde: Auch Nicole mußte etwas bemerkt haben. Sie schaute Lapin aufmerksam an. Jetzt, da der Bann gebrochen war, besaß sie wieder ein scharfes Urteilsvermögen und hatte ihr altes Mißtrauen gegenüber den magischen Kräften eines Houdain zurückgewonnen.
»Ich muß jetzt gehen«, murmelte der Abbé. »Wir sehen uns noch. Aber besonders die alten Leute brauchen meinen Beistand. Sie sind verzweifelt. Sie wollen Trost. Denn sie fürchten, sie müssen noch in dieser Nacht für ihre Sünden büßen«
»Warum sind die Leute so überzeugt davon, daß der Scharfrichter von Mazamet kommt?« erkundigte sich Zamorra spöttisch.
»Monsieur, spüren Sie das nicht?« Lapin ergriff den Professor am Arm und führte ihn zum Fenster. Er stieß es auf.
»Da liegt etwas in der Luft«, flüsterte er. »Eine unausgesprochene Drohung. Das ist fast mit Händen zu greifen. Sehen Sie nur, die Schatten werden länger. Sie kriechen von den Bergen herab und erreichen bald Mazamet. Dann wird es Ärger geben.«
Wie zur Bestätigung heulte ein Hofhund. Langezogen, schaurig, klagend.
»Diese Tiere besitzen einen feinen Instinkt«, nickte Lapin und seine Augen glänzten wie im Fieber. »Sie wittern die Gefahr, und sicher haben auch sie davon gehört, daß jemand stirbt, wenn ein Hund auf diese Art heult?«
»Schon möglich«, meinte Zamorra skeptisch.
»Wir sind nämlich eine Generation von Menschen, die nach dem Prinzip des ›als-ob‹ lebt. Wir tun, als ob wir die Dinge beherrschen. Wir tun, als ob es nur die Wissenschaft gibt und nichts hinter den Dingen, die bedrohlich sind.«
»Und Sie tun, als ob
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