011 - Sanatorium der Toten
Basedowaugen.
Diese
blickten stumpf und leer.
Fernand
Gourmon ging um ihn herum.
Da ertönte
eine Stimme. »Geh aus dem Weg, Marcel!« Hinter dem mit Marcel Angesprochenen
stand ein hochgewachsener Mann, der in Fernand Gourmons Alter war.
Der
Dunkelgekleidete grunzte, ein paar dumpfe, unverständliche Laute kamen über
seine Lippen. Er musterte Fernand Gourmon von Kopf bis Fuß, wischte sich dann
über seine Glatze, auf der deutlich eine rötliche, etwa fünf Zentimeter große
Operationsnarbe zu erkennen war, und huschte dann mit erstaunlicher
Behendigkeit davon.
»Professor
Mineau?« fragte Fernand leise und blickte den großen Mann in dem weißen Kittel
an.
Der nickte.
Er machte eine kaum merkliche Kopfbewegung, die sich auf den Geisteskranken
bezog. »Er ist harmlos, niemand braucht ihn zu fürchten, er ist anhänglich wie
ein Hund und immer in meiner Nähe. Er hat ständig den Wunsch, mich zu, sagen
wir einmal, bewachen. Er litt unter Verfolgungswahn. Mit Medikamenten war sein
Zustand nicht zu verbessern. Ich wagte damals die erste Operation. Sie war kein
hundertprozentiger Erfolg. Doch ich glaube, er ist glücklich, er will mir seine
Dankbarkeit zeigen.«
Fernand
Gourmon nickte, ohne sich dessen bewußt zu werden.
Professor
Mineau machte vom ersten Augenblick an einen ruhigen, besonnenen Eindruck auf
ihn, doch irgend etwas in den Augen dieses Mannes sagte ihm, daß er nicht so
frei und heiter war, wie er sich gab. Etwas bedrückte ihn. Fernand Gourmon
dachte aber nicht mehr daran, als er erst einmal in dem mit Palisander
getäfelten Büro des Nervenarztes saß und eine von Mineaus Zigaretten rauchte.
»… der Fall
ist ernst, Monsieur Gourmon«, schloß der Professor mit dunkler, fester Stimme.
Er hatte sich
während des Sprechens nicht gesetzt. Fernand Gourmon wirkte nervös, obwohl er
diesen Zustand zu unterdrücken versuchte. »Aber er ist nicht unlösbar. Wir
müssen zunächst einmal wissen, welches Erlebnis Ihre Tochter in den jetzigen
Zustand versetzte.
Bisher habe
ich wenig aus ihr herausgebracht. Sie hat Furcht, sie verschließt immer wieder
die Augen. Es ist nicht ausgeschlossen, daß ich sie spätestens morgen vor die
Hypnotisiermaschine setzen werde. Im Tiefschlaf wird sie vielleicht auf die
Fragen eingehen, die sie bis jetzt hartnäckig unbeantwortet läßt. Doch am
besten ist es, wenn Sie sich zunächst einen persönlichen Eindruck von dem
Zustand Ihrer Tochter machen, Monsieur. Sie ist jetzt ruhig, ich habe ihr ein
Beruhigungsmittel injiziert. Sie schläft nicht, Sie können sie alles fragen.
Wenn es bedenklich werden sollte, werde ich Ihnen ein Zeichen geben. Ich werde
in Ihrer Nähe sein.«
»Danke,
Professor.«
Sie verließen
das Büro. Ihr Weg führte zu einem kleineren Aufzug in einem Seitengang. Professor
Mineau fuhr noch zwei Stockwerke höher.
Immer wieder
fühlte Fernand Gourmon die Blicke der dunklen, ernsten Augen des Professors auf
sich gerichtet. Es war, als ob er ihm etwas sagen wollte. Und dann redete er.
»Ihre
Tochter, Monsieur Gourmon, spricht immer wieder von einem Sarg, ein Sarg, der
in ihrem Schlafzimmer gestanden hätte, und in dem sie aufgewacht sei…«
Fernand
Gourmon schluckte. Seine Wangenmuskeln zuckten. Angelique war wahnsinnig.
Das wollte
Professor Mineau damit sagen.
Fernand
Gourmon brachte kein Wort über die Lippen.
Wie eine
Marionette ging er neben dem Professor her. Er registrierte nicht einmal seine
Umgebung. Professor Mineau öffnete eine Tür. In dem Raum dahinter stand ein
einzelnes Bett. Das Zimmer war freundlich eingerichtet, das konnte man trotz
der Dämmerung, die herrschte, erkennen. Vor das lange schmale Fenster waren
erdfarbene Vorhänge gezogen, die das grelle Sonnenlicht filterten und eine
angenehm anheimelnde Atmosphäre in dem Zimmer schafften.
Fernand
Gourmon erblickte seine Tochter, die still in dem Bett lag. Eine dünne Decke
lag über ihrem schlanken Körper. Sie atmete kaum. Fernand hielt den Atem an,
näherte sich dem Bett, während Professor Mineau in die Ecke neben der Tür ging,
wo ein Tisch und zwei gepolsterte Stühle standen.
Fernand
Gourmon beugte sich über seine Tochter. Sie sah krank, gehetzt und bleich aus.
Ihre Augen
lagen tief in den Höhlen.
»Angelique!
Angelique!« Seine Stimme versagte ihm fast den Dienst. Der Name klang nur wie
ein Hauch.
Die junge
Französin bewegte sich. Ihr Gesicht zuckte, sie stöhnte leise, als litte sie
unter Schmerzen.
Fernand biß
sich auf die Lippen. »Ich bin’s, dein
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