0115 - Der Imperator und das Ungeheuer
den letzten Tagen hatte er sich innerlich immer weiter von Rhodan entfernt. Das unsichtbare Band ihrer langjährigen treuen Freundschaft schien zerrissen zu sein.
Bull gestand sich ein, daß sein Widerstandswille gegen Rhodans unsinnige Anordnungen wuchs. Die Nachwirkungen der Schockbehandlung, der Rhodan auf Okul ausgesetzt war, ließen in ihrer Stärke nicht nach.
Als Bull vor Rhodans Kabinentür stand, hielt er es für besser, kräftig anzuklopfen. In früheren Zeiten hatte er solche Umstände nicht gekannt.
„Ich sagte Ihnen bereits, daß Sie verschwinden sollen. Alkher", rief eine wütende Stimme hinter der Tür.
Bully öffnete und trat ein. Rhodan lag auf dem Bett und sah ganz so aus, wie ihn die Leutnants beschrieben hatten. Er fuhr hoch, und sein Gesicht verzerrte sich.
„Ich bin's nur", sagte Bully einfach. Rhodan sank zurück und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. Es war nur noch eine Frage der Zeit, bis das Bett zu klein für ihn sein würde.
„Was willst du?" erklang es unfreundlich.
„Ich dachte, daß du vielleicht ein bißchen Gesellschaft wünschen könntest", erklärte Bull ungerührt. „In der Zentrale werde ich nicht benötigt."
Er suchte sich ein freies Ende von Rhodans Lager aus und setzte sich darauf nieder. Mit offensichtlichem Widerwillen sah ihm Rhodan dabei zu. Bull bemühte sich, diese Abneigung zu übersehen. Die unangenehmen Launen seines Freundes übersah er am besten. „Wie ich sehe, trägst du jetzt eine Brille, Perry", sagte er freundlich. „Ist etwas mit deinen Augen passiert?"
„Diese elenden Schwätzer", rief Rhod an. Seine Beschimpfung galt Alkher und Nolinow.
Bull beobachtete ihn ruhig. Was war von der berühmten Selbstbeherrschung Perrys noch übrig? Wo war die vielgerühmte, kühle Sachlichkeit, die den Administrator bisher immer ausgezeichnet hatte?
„Soll ich Dr. Gorsizia zu dir schicken?" fragte Bully.
Rhodan lachte verbittert. Seine Mundwinkel zogen sich verächtlich nach unten.
„Was soll Gorsizia, wenn mir die terranischen Spezialisten noch nicht einmal helfen können", meinte er.
Er zerrte an dem formlosen Pullover herum. „Noch nicht einmal meine Jacke paßt mir."
Er richtete sich auf und umklammerte mit beiden Händen Bulls Kragen. Ganz dicht kam er mit seinem Gesicht an den untersetzten Mann heran. Bull glaubte unter dem dunklen Glas der Brille verschwommene Umrisse der Augen zu erkennen. Rhodans heißer Atem streifte seine Wange.
„Sieh mich an!" forderte Rhodan keuchend. „Sieh mich doch an! Allmählich werde ich zu einem Monstrum, zu einem aufgeblähten Ungeheuer."
„Perry!"
Bully sah ihn beschwörend an. „Beruhige dich doch!"
„Beruhigen?" brach es aus dem Mann heraus, der längst nicht mehr die Rolle eines Administrators spielen konnte. „Was weißt du denn schon von meinem Elend? Soll ich es dir zeigen, Bully?"
Mit einer blitzartigen Bewegung hatte er seine Brille abgenommen und davongeschleudert.
Unfähig zu sprechen, sah Bull in die Augen seines Freundes. Verzweiflung und Angst, Zorn und Haß loderten wie gelbe Flammen in ihnen auf.
Jäh fiel Bull ein, wann er schon einmal solche Augen gesehen hatte. In seine rJugend hatte er einen Zoo besucht, und ein gefangenes Raubtier hatte ihn durch die Gitter angestarrt.
„Ihre Farbe hat sich verändert", rief Rhodan aus.
Und Bull, der Mann mit den eisernen Nerven, senkte seine Augen vor diesem Blick.
„Die Antis", rief Rhodan. „Sie sind die Schuldigen. Dafür wird Saos fallen."
Das einzige, was Thomas Cardif in diesem Augenblick noch mit seinem Vater gemein hatte, war sein falscher Name und der Titel, den er sich angeeignet hatte. Sein eigener Charakter überspielte mehr und mehr die positiven Erbanlagen des echten Rhodan. Cardif war zu einem haßerfüllten Fanatiker geworden, der nur noch der eigenen Rachsucht nachlebte.
Voller Erschütterung stand Reginald Bull auf. Mit hängenden Schultern schritt er auf die Tür zu. „Bully!" rief es hinter ihm. Er wandte sich nicht um, denn der Wolfsblick brannte in seinen Gedanken als unauslöschbare Flamme. Stumm blieb er stehen.
„Du mußt zu mir halten, Bully", sagte Rhodan krächzend.
Alles, was Bull in diesem Augenblick zustande brachte, war ein schweigsames Nicken. Es kostete ihn mehr Überwindung als alles, was er jemals in seinem Leben getan hatte. Der Mann auf dem Bett war ein Fremder für ihn. Es gab keine innere Beziehung mehr zwischen ihnen. Mit aufgewühlten Gefühlen verließ Bull die Kabine.
Sein eigentliches
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