0119 - Königin der Seelenlosen
mußte der Ursache dieses Gestanks, wie er die Geruchskulisse empfand, nachgehen.
Im Dunkeln tastete er sich vor zum Eingang. Der »Gestank« wurde stärker.
Er zog den Reißverschluß nicht auf, sondern linste durch das winzige, mit einem Gazegitter versehene Guckloch ins Freie.
Unübersehbar lagen die beiden Polizisten aus Bou-Izakarn auf dem Boden, zwischen ihnen eine Brandy flasche. Das Geschnarche kam von dem Mann aus Agadir.
Wut stieg in Justin Malder hoch. Er sog die Lungen voller Luft und griff gerade nach dem Blechgriff des Reißverschlusses, als ein weiteres Geräusch in seinem Rücken ihn erstarren ließ.
Zu sehen war nichts. Aber es hörte sich verteufelt danach an, als ob jemand mit dem Messer durch die Zeltbahn gestochen hätte und jetzt einen Schlitz hineinsäbelte.
Justin Malders Nerven spannten sich bis zur Zerreißgrenze. Der Kerl an der Rückseite des Zeltes gab sich jede Mühe, leise zu sein, und wäre der Geruch nach Cognac nicht gewesen, Justin Malder hätte mit Sicherheit nichts davon bemerkt, denn er verfügte normalerweise über einen beneidenswert tiefen Schlaf. Wenn er einmal pennte, konnte man ihn samt seinem Bett davontragen.
Vorausgesetzt, die »Witzbolde« hatten vorher keinen Schnaps getrunken.
Justin Malder stand steif.
Dafür haben sie mir jetzt Polizisten geschickt, dachte er verbittert. Elende Saubande!
Aber er hatte nicht die Zeit, seinen Zorn voll auszukosten, denn der Bursche, der sein Zelt zersäbelte, war flink wie ein Affe. Obendrein mußte er genau gewußt haben, wo er das Messer anzusetzen hatte, ohne daß die Klinge auf Widerstand stieß, denn die Ränder des Zeltes waren bis auf wenige Plätze mit Kisten und Schachteln vollgestellt. Es mußte sich um jemanden handeln, der entweder unverschämtes Glück hatte oder sich hier sehr genau auskannte.
Malder konnte sich denken, daß die zweite Möglichkeit die Zutreffende war.
Vor Geisterwesen schützte ihn der Stein, den er sogar in die Tasche seiner Pyjamajacke gesteckt hatte. Und Spukgestalten pflegten wohl nicht, sich auf diese Art und Weise zu einem Ort Einlaß zu verschaffen.
Justin Malder war beileibe nicht feige. Nur noch irritiert. In der Riege seiner Universität hatte er es unter den Boxern bis zum Vizemeister gebracht. Wenn er richtig traf, schlug seine Faust bildhübsche Knockouts.
Umsehen konnte er sich nicht, denn es war stockdunkel im Zelt. Deshalb ballte er die Hände.
Dann - neben seinem Feldbett und der Alukiste - ein schmaler Lichtstreifen, der sich nach unten erweiterte. Wer immer auch hier einbrach, er schnitt mit dem Messer nach oben.
Sekundenbruchteile nur die Umrisse eines Fes mit einer Kordel daran.
Nur Hassan al Jareff lief im Camp mit einer solchen Kopfbedeckung herum. Die Arbeiter hatten sich samt und sonders zum Schutz vor der Sonne Tücher um den Kopf gewunden. Der Dolmetscher trug seinen Fes wie eine Krone. Sie hob ihn vom Heer der anderen ab.
Der Araber steckte den Kopf durch die Öffnung, als sie groß genug war, um auch seinen Körper hindurchzulassen. Justin Malder hörte ihn aufgeregt atmen, während er selbst die Luft anhielt. Zwischen ihnen bestand keine größere Distanz als allenfalls drei Meter. Der Archäologe fühlte sich in die Enge getrieben.
Mit Hassan al Jareff fertig zu werden, traute er sich zu. Aber er sah nichts, und der Mann hatte einen Dolch, ein Krummschwert, ein Metzgermesser oder sonst irgend etwas von dieser Güte, während Malder nur dieses einzige Leben in seinem einzigen Körper hatte. Beides wollte er aus fehlverstandener Tapferkeit nicht aufs Spiel setzen, und damit blieb ihm nur der Rückzug. Sein Verstand hatte es in den letzten Tagen gelernt, auch in Extremsituationen vernünftige Reaktionen auszuwerfen.
Weil Justin Malder schon am Zelteingang stand, riß er mit einer kurzen, ruckartigen Bewegung den Reißverschluß hinauf.
Keine halbe Sekunde verging, er stolperte über die vordere Stützstange aus Leichtmetall und anschließend über ein Spannseil. Das Zelt brach zusammen, als wäre der Sturm hineingefahren. Unter dem Tuch ein sich hilflos bewegender Buckel, ein erstickter Schrei.
Die beiden Polizisten erwachten davon.
Der Teufel mochte wissen, wie ihre Ausbildung verlaufen war. Jedenfalls sahen sie Justin Malder neben sich liegen, und sie sahen, daß sich unter der Zeltbahn etwas bewegte.
»Nehmt ihn fest!« herrschte Justin Malder mit sich überschlagender Stimme die beiden Polizisten an, die gedankenschnell nach ihren Maschinenpistolen
Weitere Kostenlose Bücher