012 - Der mordende Schrumpfkopf
und ein überhebliches
Grinsen umspielte seine Lippen. »Er beherrscht die finsteren Kräfte, andere
Gewalten, über die ein Normalsterblicher keine Macht besitzt.«
Anja verhielt sich alles andere als normal. Sie war nicht so
glücklich, wie es den Anschein erweckte. Maske! Sie lebte unter einer
permanenten Hypnose. Das war es! Wie Schuppen fiel es ihm von den Augen. Und
vor sieben Jahren in der Bar in Paris war es nicht anders gewesen. Anja hatte
unter Hypnose gestanden und unter Hypnose die Kontakte zu ihm abgebrochen!
Wie benommen kehrte Paul Vernon zu seinem Platz zurück und sah von
weitem den vollendeten Frauenkörper im Dunkel zwischen den schwarzen
Kulissenwänden verschwinden.
Vernon sah Estrello, der nach vorn kam und sich verbeugte. Anja
tauchte nicht auf. Für Estrello und das Publikum war sie zunächst mal
verschwunden.
Vernons Augen brannten. Er sah nur das ovale, weißgeschminkte
Gesicht Estrellos vor sich.
»Deinen Kopf bekomme ich, das schwöre ich dir, hier in dieser
Minute. Und dein verdammtes Grinsen werde ich dir für alle Zeiten abgewöhnen,
auch das garantiere ich dir!« Vernon redete halblaut vor sich hin, während das
Publikum sich von den Plätzen erhob und frenetisch Beifall klatschte. »Ich
mache einen Schrumpfkopf aus dir, Estrello, so wahr ich Paul Vernon heiße!«
●
Estrello verlängerte unerwarteterweise seinen Aufenthalt in
Guayaquil. Das hing damit zusammen, daß die Polizei die Nachforschungen nach
dem Verbleib des Zimmermädchens Juanita sehr energisch betrieb und auch den
Magier vernahm.
Die Polizei stand vor einem Rätsel.
Man vernahm Freunde, Bekannte und Verwandte. Estrello selbst bot
der Polizei an, noch zu bleiben, falls er durch irgendwelche Hinweise zur
Aufklärung des Verschwindens beitragen könne.
Das rechnete man ihm hoch an. Der Leiter der
Untersuchungskommission sagte zwar, daß dies nicht nötig sei, aber Estrello
erwies sich als Kavalier und Menschenfreund.
Als Vernon horte, daß Estrello länger blieb, warf er seinen ganzen
Plan um.
Für den kommenden Tag war ein neues Auftreten Estrellos
angekündigt. Aufgrund des positiven Echos in der Presse und in der
Öffentlichkeit war damit zu rechnen, daß auch diese Vorführung gut besucht sein
würde.
Vernon nutzte den Vormittag. Was er seit Jahren nicht mehr durch
einen Fachmann hatte tun lassen, erledigte er an diesem Tag, Er suchte einen
Friseur auf, verlangte einen Messerschnitt, ließ sich den Bart entfernen und
kaufte sich in der Stadt eine helle Sommerhose und ein fliederfarbenes,
gesticktes Hemd. Kamoo, der seinen Freund auf Schritt und Tritt begleitete,
glaubte aus allen Wolken fallen zu müssen. Er sah die Dinge gleich von der
richtigen Seite.
»Du willst uns verlassen, Paul?« fragte er in Französisch.
Vernon zuckte die Achseln, während er sich nach erfolgreicher
Prozedur durch den Friseur im Spiegel betrachtete und fand, daß er jetzt um
zehn Jahre jünger aussah. Sein glattes Gesicht und das gepflegte Haar ließen
ihn jugendlicher erscheinen.
»Vielleicht, Kamoo. Ich weiß noch nicht. Aber bis dahin wird noch
viel Zeit vergehen...« Mit dieser Prophezeiung irrte er sich.
In einem kleinen Restaurant besprachen sie bei einem Fischgericht
alles weitere. Vernon hielt es für angebracht, Kamoo einzuweihen.
»Ich brauche deine Hilfe, Kamoo«, sagte Vernon zu dem Jivaro.
»Heute abend nach dem ersten Teil der Vorstellung tritt eine Pause von zwanzig
Minuten ein. Zu diesem Zeitpunkt sind sowohl Estrello als auch dessen Partnerin
in den Garderoben. Beide werden von Privatleuten und von Zeitungsreportern
umlagert sein. Das ist so üblich.«
Kamoo nickte. Mit ihm konnte man so sprechen. Vernon hatte ihm
Lesen und Schreiben beigebracht, und der Jivaro las hin und wieder eine Zeitung
oder ein Magazin, das sie in der Stadt kauften, wenn sie sich gerade dort
aufhielten.
»Nach der Pause kommt Estrellos großer Auftritt. Ein Solopart, der
knapp eine halbe Stunde dauert. In dieser halben Stunde befindet sich Senorita
Anja allein in ihrer Garderobe. Ich werde mit ihr sprechen. Du hältst mir den
Rücken frei. Wenn jemand in dieser Zeit, wo ich mich bei ihr befinde, in die
Nähe der Garderobe kommen sollte, den du nicht abwimmeln kannst, dann mußt du
mir ein Zeichen geben, ist das klar?«
Er war klar. Kamoo brauchte man nur einmal etwas zu erklären. Er
freute sich wie ein kleines Kind darauf, noch mal die Zauberkunststücke und
Tricks des großen Estrello sehen zu können.
Vernon sah weniger
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