012 - Der mordende Schrumpfkopf
eingerichtet wie eine Maschine, die auf Abruf zu benutzen ist. Nur
zwischen den Showteilen und während unseres Alltagslebens bin ich so wie ich
wirklich bin. Alles andere ist eine Farce, ein Teil der Show. Aber ich weiß das
nicht.«
Vernon ballte die Hände zu Fäusten. »Dieses Schwein«, preßte er
zwischen den Zähnen hervor, und seine Stirnader schwoll an. »Ich werde es ihm
heimzahlen!«
Anja lächelte bitter. »Er ist unbesiegbar. Er ist ein Scheusal von
einem Menschen, ein Satan! Er kennt keine Gefühle. Für ihn zählen andere
Menschen nicht. Sie sind nur Objekte für ihn.«
»Aber eines verstehe ich nicht«, murmelte Vernon.
»Was verstehst du nicht?« Anja blickte ihn an, ihre schönen Augen
schienen bis in sein Innerstes zu blicken. Es waren traurige Augen.
»Wenn du nicht unter Hypnose stehst, lebst du ebenfalls mit ihm
zusammen. Warum verläßt du ihn nicht einfach?«
Sie lächelte bitter. »Verlassen? Ohne ihn bin ich nichts. Ich bin
nicht mal in der Lage, eine Entscheidung zu treffen. Ich bin ausgehöhlt, leer,
ich habe keinen eigenen Willen mehr. Einmal habe ich einen Fluchtversuch
unternommen...« Sie stockte.
»Ja, was war dann?«
»Ich bin von selbst zu ihm zurückgekommen«, sagte sie kleinlaut.
»Ich wußte nichts mit mir anzufangen. Es scheint, als hätte er auch diese
Reaktionen in mir eingepflanzt. Ich bin erst frei, wenn Estrello tot ist! Das
hat er mir selbst gesagt.«
Vernon biß sich auf die Lippen. »Er hypnotisiert dich jedesmal
neu?«
»So kann man es nicht bezeichnen. Ich falle in Hypnose, sobald er
ein bestimmtes Wort nennt, das ich nicht kenne. Auf dieses Signal bin ich
eingestimmt.« Sie erschrak plötzlich. Ihr Blick fiel auf die Uhr. »Er muß
gleich kommen. Du mußt hier weg! Wenn er dich sieht, passiert ein Unglück!«
Vernon legte seine Hand auf ihre Schulter. »Wische dir die Augen
aus! Er darf nicht merken, daß du geweint hast.«
Sie schüttelte den Kopf. »Er wird nicht wissen, weshalb ich
geweint habe. Es kommt oft vor. Das nennt er dann meinen Moralischen.«
Vernon sagte: »Es ist gut, daß ich dich gefunden habe. Wenn ich
dich so vor mir stehen sehe, dann habe ich nicht das Gefühl, daß schon sieben
Jahre seit unserer Begegnung vergangen sein sollen. Wir werden ganz neu
anfangen, Anja!«
»Es wäre zu schön, um wahr zu sein«, seufzte sie.
»Es wird wahr werden. Du mußt mir nur etwas über Estrello
erzählen, etwas über seine kommenden Pläne. Ihr seid auch morgen noch mal hier,
nicht wahr? Es hat in der Zeitung gestanden.«
Anja. schüttelte den Kopf. »Estrello hat sich anders entschieden.
Vorhin in der Pause gab er seine Entscheidung bekannt. Die Polizei hält es
nicht mehr für notwendig, daß Estrello sich weiter zur Verfügung hält. Das
Mädchen ist verschwunden, und Estrello kann keine weiteren Aussagen über ihren
Verbleib machen. Er will nach Quito und dort eine Wiederholungsvorstellung
geben. Das war schon vor acht Wochen versprochen, als wir die Tournee
begannen.«
»Wann werdet ihr fahren?«
»Aus Erfahrung weiß ich, daß wir nach Beendigung der Vorstellung
aufbrechen. Bis alles verstaut ist, dauert es meistens noch eine gute Stunde.
Bertrand hat dann schon alles so vorbereitet, daß wir keinen längeren
Aufenthalt haben.«
»Ihr fahrt die Nacht durch?«
»Ja. - Was hast du vor?« Ihre Stimme klang ängstlich.
»Laß mich nur machen«, erwiderte er erregt. »Aber ich muß dir noch
mal die gleiche Frage stellen, die ich schon vor sieben Jahren an dich
gerichtet habe: Willst du mit mir gehen?«
»Ja.« Es klang so fest und sicher, daß die Frage keiner
Wiederholung bedurfte.
Sie hatten nicht mehr viel Zeit zur Verfügung, alle Einzelheiten
abzusprechen. Vorsichtig öffnete Vernon die Tür, und ein leiser Pfiff machte
den wachenden Kamoo aufmerksam. Der Jivaro blickte sich um, und Vernon gab ihm durch
ein Zeichen zu verstehen, daß er sich irgendwo verstecken sollte. Kamoo
verschwand hinter dem dunklen Treppenaufgang.
Der Franzose blieb im Zimmer. »Ich verstecke mich hier«, sagte er
leise. »Es interessiert mich doch, welches Stichwort Estrello gebraucht, um
dich wieder in Hypnose zu versetzen.«
»Wenn er bemerkt, daß du hier bist, wird er dich umbringen!«
Die Angst in Anjas Stimme war unüberhörbar.
»Er wird gar nicht bemerken, Anja, ich...« Vernon unterbrach sich.
Draußen auf dem Gang näherten sich rasche, energische Schritte.
»Das ist er. Estrello!« Anjas Stimme war wie ein Hauch.
»Reiß dich zusammen! Es wird
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