0127 - Die Eisvampire
eintrafen.
Pfeifend ging er zurück und wartete am Ende des Wegs auf Toni Berger. Rechts davon stand der große Holzkasten, in dem immer das Streugut lag. Es mußte nachgefüllt werden. Über ihm raschelten die Blätter der Bäume im Wind. Es war ein friedliches, stimmungsvolles Bild, das, er geboten bekam. Jo dachte daran, daß bald das erste Laub fallen mußte.
Toni Berger kam noch nicht.
Das wunderte Spengler, denn normalerweise hatte es der gute Toni mehr als eilig, wenn es schon so spät war. Diesmal jedoch schritt er den normalen Weg hinab.
Und wie er ging.
Spengler sah ihn, als er die letzte Kehre nahm. Normalerweise lief der Toni Berger federnd und irgendwie leichtfüßig, trotz seiner schweren Schuhe. Aber jetzt stakste er regelrecht seinem Ziel entgegen, irgendwie steifbeinig, als hätte man ihm einen Ladestock in den Rücken geklemmt.
Das war ungewöhnlich.
»Da ist doch nichts passiert?« murmelte Spengler und ging dem Freund ein paar Schritte entgegen. Auch ein erfahrener Mann wie Toni Berger konnte einen schwachen Tag haben und fehltreten.
Verletzt war man in den Bergen schnell.
Spengler winkte. »Grüß dich, Toni. Alles klar?«
Berger nickte nur.
Auch das wunderte Spengler. Kein Wort zur Begrüßung, nur ein unpersönliches Nicken. Jetzt war er ganz sicher, mit dem Berger Toni, da stimmte etwas nicht.
»He, hast du die Sprache verloren. Mann? Nicht einmal lachen kannst du. Ich weiß einen neuen Witz. Hör zu: Welche vier Schuljahre sind für die Bayern am schwersten?« Jo schaute Toni Berger an, bekam überhaupt keine Antwort.
»Na das erste«, sagte er und lachte selbst lauthals los.
Berger hob nur die Schultern und ging an ihm vorbei.
»Na, dann nicht«, murmelte Spengler. »Möchte nur wissen, welche Laus ihm heute über die Leber gelaufen ist.« Kopfschüttelnd ging er hinter Berger her, der quer durch die Seilbahnstation schritt, das kleine Kontrollhäuschen passierte, sich unter den Laufrädern hindurchbückte und dann die Tür zur Kabine aufzog.
Jo Spengler schloß noch ab. Er schaute durch die großen Glasscheiben der Kabine.
Berger hatte ihm den Rücken zugewandt, er schaute ins Tal hinunter, wo im letzten Licht der Sonne der kleine Ort Hallstadt mit dem malerischen See zu erkennen war, dessen Wasser bläulich und silberfarben aufblitzte, wenn die Strahlen über die Wellen glitten.
Letzte Segler und Surfer waren noch unterwegs. Am Ostufer des Sees verschwand das graue Band der Straße im Tunnel. Die Autos wirkten wie Spielzeug.
Jo Spengler riß die Schiebetür der Seilbahn auf und stieg ein. Er schloß sie wieder und gab das Signal zur Abfahrt.
»Verstanden!« klang die Stimme des Mannes an der Talstation.
Die Bahn ruckte an.
Das war immer der Augenblick, vor dem sich die meisten Touristen fürchteten. Dann schwebte die schwere Kabine – sie faßte Personen – über den Gipfeln der hohen Fichten talwärts.
Toni Berger hatte sich noch immer nicht umgedreht. Leicht gebeugt stand er da, die Hände um den seitlich laufenden Griff geklammert. Schräg fiel das Sonnenlicht in die Kabine. Jo Spengler wurde etwas geblendet, während das Licht Berger überhaupt nicht berührte.
»He, Toni, was ist eigentlich los? Verdammt, wir kennen uns jetzt so lange. Sag endlich, was geschehen ist!« Spenglers Stimme klang ärgerlich. Ihm war der Kragen geplatzt. Toni Berger sprach nicht.
»Redest du nicht mehr mit mir?«
»Doch!« Seine Stimme klang seltsam gepreßt. Er hob die Schultern etwas an, löste zuerst die linke Hand vom Griff, dann die rechte und drehte sich um.
Er schaute Spengler an.
Erst jetzt fiel Jo auf, wie blaß Toni Berger doch war. Als hätte er überhaupt kein Blut mehr in seinen Adern.
Wie leergesaugt…
Spengler schüttelte über sich und seine Gedanken den Kopf.
Aber komisch war es schon.
»Warum willst du denn nicht reden, Toni? Habe ich dir etwas getan? Sag es, wir können darüber sprechen…«
Berger erwiderte nichts. Er stierte den anderen nur an. Ja, es war ein Stieren, und Spengler bemerkte mit Erschrecken, daß sich der Ausdruck in Bergers Augen verändert hatte.
Er war schlimm geworden.
Schlimm und grausam.
So schauten Mörder…
Die Seilbahn ruckte, weil sie dicht an einem Mast vorbeischwebte. Wie grüne Schatten huschten die breiten, uralten und hohen Fichten vorbei.
Das alles sah Jo Spengler nicht. Er hatte plötzlich Angst bekommen. Angst vor Toni Berger. Aus der Seilbahn, so groß sie auch war, konnte er nicht fliehen.
Toni Berger wollte
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