0128 - Der Seelenwald
in der Nähe der berühmten Carnaby Street, und man konnte meinen, daß ausgerechnet heute abend ganz London beschlossen hatte, sich dort zu treffen. Vor dem Restaurant hatte es keinen Parkplatz mehr gegeben. Unseren Tisch mußten wir uns regelrecht freikämpfen. Und das, obwohl ich ihn rechtzeitig hatte reservieren lassen.
Glenda strich sich eine widerspenstige schwarze Haarsträhne aus dem Gesicht und sah mich an.
»Wissen Sie was, John… Ich bin richtig froh, daß heute nichts passiert ist.«
»Nichts passiert?«
»Naja, ich meine… Es ist schließlich nicht ganz ungefährlich, mit Ihnen auszugehen.«
»Meine liebe Glenda«, versetzte ich übertrieben steif. »Sie sind sich hoffentlich darüber im klaren, wie zweideutig sich das anhört!«
Vorwurfsvoll schüttelte ich den Kopf.
»Vielleicht war das sogar beabsichtigt!«
»Hmmm. Nun ja.« Ein besserer Kommentar fiel mir momentan wirklich nicht ein.
Eins zu null für sie. Aber ich wußte trotzdem, wie sie es gemeint hatte. Es war noch gar nicht so lange her, da hatte sie mich gebeten, sie zu einer Gemäldeausstellung von Golo Gulerian zu begleiten.
Ich tat ihr den Gefallen. Außerdem wurde Gulerian von den Vertretern der sogenannten Fachwelt als zweiter Hieronymus Bosch gepriesen, und somit interessierte er mich irgendwie auch.
Nun, Glenda und ich hatten Gulerian kennengelernt. Von seiner schlechtesten Seite. Als Monster. Nur mit knapper Not hatten wir ihn schlußendlich ausschalten können.
Kein Wunder, daß Glenda drauf anspielte. Das Erlebnis machte ihr immer noch zu schaffen.
»Auf jeden Fall: Heute passiert nichts«, erklärte ich im Brustton der Überzeugung, und hoffte, daß ich nicht zu viel versprach. Dämonen schlafen niemals. Unablässig sind sie aktiv. Darüber hinaus hatten sie es auf mich abgesehen. Auf ihrer schwarzen Liste stand mein Name ganz oben. Kein sehr angenehmes Gefühl, das zu wissen, aber ich hatte mich daran gewöhnen müssen.
Unwillkürlich atmete ich durch. Glendas dezentes Parfüm kitzelte mir in der Nase. Dazu ihre Nähe. Trotz des Trenchcoats spürte ich ihren geschmeidigen Körper viel zu deutlich.
Meine Gedanken machten sich dennoch selbständig. In den letzten Wochen hatte sich die Horror-Szene gewaltig verändert.
Der Schwarze Tod existierte nicht mehr. Diese Tatsache stand auf der Habenseite der Bilanz. Leider gab es auf der Sollseite gleich mehrere Eintragungen, und jede einzelne wies ein geradezu teuflisches Gewicht auf.
Asmodina, die Tochter des Teufels, hatte die Stelle des Schwarzen Tods eingenommen.
Und sie hatte dafür gesorgt, daß Doktor Tod, einer meiner schlimmsten Gegner von einst, aus dem Reich des Spuks entlassen worden war. Er war auferstanden, und lebte nun im Körper eines Mafioso, Solo Morasso.
Ich brauchte keine hellseherischen Fähigkeiten, um zu wissen, daß er mir noch allerhand Schwierigkeiten machen würde. Erste Kostproben hatte ich ja schon erhalten.
Und abgesehen davon waren die rangniederen Dämonen aktiver denn je.
Keine ruhigen Zeiten für einen Geisterjäger.
»An was denken Sie, John?« fragte Glenda unvermittelt. Ihre Stimme klang dunkel und sanft.
Es fiel mir schon schwer, in ihrer Gegenwart nur unverbindlich höflich und nett zu sein.
Aber da gab es schließlich Jane Collins und gewisse Prinzipien.
Eines davon war, daß ich Jane mächtig gerne hatte und nicht verlieren wollte. Jeder Mann muß sich, glaube ich, irgendwann einmal entscheiden. Ich habe das getan. Für Jane.
Sicher, ich mochte Glenda, aber sie war und blieb meine Sekretärin. Nicht mehr, nicht weniger.
Einen Augenblick lang sah ich Jane vor meinem geistigen Auge
… Lächelnd, hübsch, die langen Blondhaare zerzaust. Ich freute mich auf das Wiedersehen. Momentan war sie in einer geschäftlichen Angelegenheit in Gorlochny, aber wenn alles glattging, war sie morgen wieder in good old London. Und dann war eine prächtige Wiedersehensfeier fällig.
Nein, ich bereute meinen Entschluß nicht.
Ich räusperte mich, um die lange Pause zu überspielen. »Ich – ich dachte an den Käsekuchen. Der liegt mir mächtig schwer im Magen«, schwindelte ich. Ich wollte Glenda nicht die gute Laune verderben.
Aber sie schien mich doch zu durchschauen. Sie verzog ihr hübsches Gesicht und sah mich an. »John! Jetzt nehmen Sie mich aber auf den Arm!«
Ich seufzte melodramatisch und sagte nichts. Manchmal sind Worte einfach überflüssig.
Schweigend marschierten wir durch den Nieselregen, der wie ein feiner Schleier vom
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