014 - Die Insel der wandelnden Toten
den lieben Gott.
»Es freut mich, daß Sie doch noch Zeit gefunden haben, sich mir persönlich zu widmen, Don Chiusa«, sagte Dorian. »Aber bevor wir uns miteinander unterhalten, möchte ich einen Irrtum aus der Welt schaffen. Ich diene nicht Chalkiris, sondern das genaue Gegenteil ist der Fall. Ich bin sein erklärter Feind. Ich bin nach Sizilien gekommen, um ihn zu töten. Und deshalb dachte ich, daß wir zusammenarbeiten könnten, Don Chiusa.«
Der Mann, der hinter dem Don ins Arbeitszimmer des Anwalts getreten war, taxierte Dorian. Er war etwa Mitte zwanzig, sah blendend aus und hatte einen durchtrainierten Körper.
»Ich glaube ihm kein Wort«, sagte er. »Wir sollten unsere Zeit nicht mit ihm vergeuden, Vater.«
Stefano Alberto Chiusa warf ihm einen Blick zu, aus dem milde Strenge sprach. »Noch bin ich der Don, Gianni.«
Damit ging die erste Runde an Dorian, doch er wußte, daß es mit Gianni noch Schwierigkeiten geben würde, falls er sich mit der Mafia einigen konnte.
Einer der Leibwächter brachte eine Flasche Malvasia di Lipari. Dorian nippte kurz an seinem Glas, um den Don nicht zu verärgern, erbat sich danach jedoch anstatt des süßlichen Dessertweines einen Bourbon. Er benötigte zwei Drinks pur, um den aufdringlichen Geschmack des Weines wegzuspülen. Währenddessen kamen sie ins Gespräch.
»Ich möchte die Fronten von Anfang an klar abstecken«, sagte Dorian. »Mich kümmern Ihre Geschäfte überhaupt nicht, Don Chiusa, und auch das Schicksal Ihrer Organisation ist mir egal. Meinetwegen könnte die Cosa Nostra zum Teufel gehen. Nehmen Sie das bitte nicht persönlich! Jedenfalls weiß ich, daß Anatoll Chalkiris Ihnen ein Dorn im Auge ist, weil er Ihnen in Ihre Geschäfte pfuscht. Sie werden es sich wahrscheinlich nicht eingestehen wollen, aber ich kann Ihnen versichern, daß die Organisation des Griechen bald mächtiger sein wird als die Cosa Nostra. Wenn Sie das verhindern wollen, müssen Sie Chalkiris beseitigen.«
»Sie sprechen ziemlich unverblümt, Mr. Hunter«, meinte Chiusa mit ausdruckslosem Gesicht. »Deshalb möchte ich Sie ebenso klar fragen, warum Sie sich ausgerechnet an mich wenden. Sie bieten mir nicht Ihre Unterstützung an, sondern wollen sich von mir helfen lassen.«
»Wenn ich Chalkiris beseitige, dann helfe ich Ihnen zwangsläufig«, erwiderte Dorian. »Wenn auch unbeabsichtigt. Und da Sie aus Chalkiris' Tod zweifellos Nutzen ziehen, sehe ich nicht ein, warum Sie mich nicht unterstützen sollen.«
»Warum wollen Sie Chalkiris aus dem Weg räumen?«
»Weil er zu mächtig wird. Er stellt eine Bedrohung für die gesamte Menschheit dar. Zwingen Sie mich bitte nicht, dies näher zu erläutern. Aber gegen die Wesen, die Chalkiris führt, ist die Mafia ein Kinderschreck. Chalkiris und seine Organisation, man nennt sie auch die Schwarze Familie, könnten in einigen Jahren die Erde beherrschen – wenn sie es wollten. Das muß Ihnen als Motivation genügen, Don Chiusa.«
Dorian hoffte, daß diese Erklärung dem Mafiaboß tatsächlich genügte, denn die volle Wahrheit konnte er ihm schlecht erzählen. Er würde ihn für verrückt halten und ihn – im günstigsten Fall – davonjagen. Für jemanden, der von der Existenz der Dämonen keine Ahnung hatte, würde es sich wie das Gerede eines Irren anhören, wenn man ihm sagte, daß der Reederkönig und Milliardär Anatoll Chalkiris in Wirklichkeit identisch mit Asmodi war, dem Fürst der Finsternis und dem Oberhaupt der Schwarzen Familie. Und doch war es so. Dorian wußte es von Olivaro. Der Dämon Olivaro, der ihm wohlgesonnen schien, hatte ihm noch weitere wichtige Informationen gegeben. Sie konnten ausreichen, Asmodi alias Anatoll Chalkiris endgültig zur Strecke zu bringen. Doch allein konnte Dorian sein Vorhaben nicht in die Tat umsetzen. Er benötigte die Hilfe einer Organisation wie der Mafia. Er mußte sich ihrer Unterstützung versichern, um ein noch größeres Übel zu beseitigen.
»Ich biete Ihnen eine Chance, die sich nicht wiederholen wird, Don Chiusa«, fuhr Dorian fort. »Wenn man Chalkiris beseitigen will, dann kann man das nur auf seiner Insel tun.«
»Und wie wollen Sie auf die Insel gelangen?« fragte Chiusa mit leichtem Spott. »Ich habe mir sagen lassen, daß sie eine uneinnehmbare Festung ist. Niemand kann ungestraft einen Fuß darauf setzen, geschweige denn in Chalkiris' Nähe kommen.«
»Sie sprechen wohl aus Erfahrung«, meinte Dorian. »Wie viele Leute haben Sie schon durch Chalkiris verloren? Oder
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