0484 - Stygias Todespendel
»Aber… aber Herrin!« keuchte der Schuppige erschrocken. »Das ist nicht Euer Ernst!«
Stygia verzog das Gesicht. »Ich bin nicht hierhergekommen, um zu scherzen«, sagte sie und gab ihren beiden Begleitern einen Wink. Die muskelbepackten Monster griffen zu. Der Schuppige wand sich verzweifelt in ihren Fäusten. Er schrie. »Nein, Herrin! Das könnt Ihr nicht tun! Ich bin Euch doch ein treuer Diener!«
Die Fürstin der Finsternis schüttelte den Kopf. »Ich hege meine Bedenken. Wärest du mir wirklich ein so treuer Diener, wie du behauptest, würdest du dich nicht so sträuben, mir den größten aller Dienste zu erweisen!«
»Aber - danach bin ich tot!« kreischte der Schuppige. Immer wieder versuchte er, sich aus dem Griff der beiden Muskelmonster zu befreien. Doch sie hielten ihn wie mit Stahlklammern fest. Zwischen den schwarzglänzenden Schuppen, die seinen einer Mischung aus Schimpanse und Krokodil gleichenden Körper bedeckten, trat ein schleimiges Angstsekret aus. Stygia rümpfte die Nase; der Angstschweiß des Schuppigen stank bis zum Ende der Hölle.
»Natürlich bist du dann tot«, bekräftigte sie. »Vorausgesetzt, deine Erfindung funktioniert so, wie du es mir versprichst. Versagt sie, bekommst du die Chance, weiterzutüfteln. Vielleicht hast du dann nach weiteren zehn Jahren intensiver Bastelarbeit den heute versprochenen Erfolg.«
Der Schuppige keuchte. Seine hervorquellenden Augen waren riesengroß geworden. »Warum erprobt Ihr es nicht an einem Eurer Feinde?« keuchte er verzweifelt. »Dann könntet Ihr zugleich sehen, daß es die weißmagischen Abschirmungen durchdringt! Warum also solltet Ihr mich nehmen? Das ist…«
Die schwarzhaarige Dämonin, aus deren Rücken mächtige Fledermausschwingen emporwuchsen, bleckte die Zähne. »Bist du wirklich so dumm? Es ist doch ganz einfach zu erklären. Schau, mein kleiner getreuer Diener, vor ein paar Jahrtausenden hatten die Menschen eine wunderbare Sitte, die ich gern wieder aufgreife, weil sie ungemein praktisch ist. Genialen Baumeistern wurde, wenn sie ihr Werk vollendet hatten, die Hände abgehackt, damit sie kein zweites Bauwerk dieser Pracht und Schönheit erschaffen konnten. Waren gar Geheimkammern und verborgene Gänge eingebaut, pflegte man die Baumeister und alle, die an ihrem Werk mitgearbeitet hatten, darin einzumauern, damit sie die Geheimnisse nicht verraten konnten - die damaligen Foltermethoden machten selbst standhafte Helden recht geschwätzig.«
»Aber ich bin kein Baumeister, kein Architekt, Herrin!« stieß der Schuppige bestürzt hervor. »Daher habt Ihr doch keinen Grund…«
»Nun, du könntest ein zweites Pendel für einen meiner Rivalen bauen«, sagte sie. »Das möchte ich verhindern. Daher wirst du zwangsläufig sterben müssen. Das siehst du doch sicher ein. Und es wäre unlogisch, dich zu töten und einen weiteren Testkandidaten dazu. So schlagen wir doch zwei Fliegen mit einer Klappe. Das ist rationell, mein lieber schuppiger Freund.«
»Herrin«, wimmerte er in Todesangst. »Vielleicht muß ich noch etwas verbessern, verfeinern… Ihr dürft mich nicht töten! Noch nicht!«
Sie winkte ab. »Du rechnest dir eine Fluchtchance, aus, wie? Nein. Du hast vorhin selbst wörtlich behauptet, daß es perfekt und fehlerfrei funktioniert. Was sollte also noch zu verbessern sein? Aber wenn du mich belogen hast, nun, dann überlebst du ja vielleicht.«
Der Schuppige, der die Kraft verloren hatte, sich zu wehren, zitterte nur noch angstvoll und erschöpft. Stygia schloß die Augen. Sie konzentrierte sich auf die »Bedienungsanleitung«, die der Schuppige ihr erklärt hatte. Dann setzte sie ihre Magie ein. Sie berührte das mannsgroße, riesige Pendelblatt, dessen gebogene Schneide rasiermesserscharf war. Das Pendel schwebte frei in der Luft. Noch bewegte es sich nicht. Die Fürstin der Finsternis zeichnete Linien auf das Schneideblatt.
Eigenartige Schwingungen durchzogen den Raum. Ein schemenhaftes Wesen entstand. Es nahm das Aussehen des Schuppigen an. Er lag ausgestreckt unter dem Pendel.
Der Schuppige begann wieder zu schreien und um Gnade zu winseln. Aber Stygia nahm das Pendel in Betrieb. Über dem plastischen Abbild des Schuppigen begann das Pendel zu schwingen. Es sah aus, als bewegte das Blatt mit der halbrunden Schneide sich an einem langen, unsichtbaren Stiel. Es schwang bedächtig hin und her, benötigte fast drei Sekunden von einem Ausschlag zum anderen. Und dabei begann es langsam zu sinken.
Aus
Weitere Kostenlose Bücher