0143 - Brücke ins Jenseits
Lokomotive.
Sonst herrschte die Stille einer öden Gegend, in der sich sogar am Tage nur selten Menschen zeigen.
Ich kletterte bis hinauf auf die Krone des Bahndamms und legte mich dort auf den Schotter, der die Schienen trug.
Ich konnte spielend leicht hinabblicken in den Hof des Fabrikgeländes. Aber es hätte Tag sein müssen. Ich konnte außer den schattenhaften Umrissen der vier Gebäude nicht viel mehr erkennen. Dass im Fabrikgebäude tatsächlich im Erdgeschoss Licht brannte, sah ich nun. Aber die Scheiben waren mit einer so dicken Dreckkruste überzogen, dass ich nichts erkennen konnte, was sich dahinter befand.
Und dass die Bahnlinie, auf der der verlassene Güterwagen stand, abwärts verlief, das lag völlig außerhalb des Lichtscheins der Straßenlaternen…
***
»Wir werden das ganze Gelände umstellen müssen«, sagte ich, als wir wieder auf dem dunklen Hof bei unseren Leuten waren. »Eine Taschenlampe bitte.«
Irgendjemand knipste eine Stablampe an.
Ich suchte in meiner Brieftasche nach einem Stück Papier, das ich verwenden konnte, und nahm schließlich, da sich nichts Besseres fand, einen alten Briefumschlag, auf dessen Rückseite ich in groben Zügen die Lage der vier Gebäude skizzierte.
»Hier ist das Tor«, sagte ich und zeichnete es mit einem Kreuz ein.
»Das übrigens vor kurzer Zeit noch geöffnet worden ist«, warf Phil ein. »Ich sah es, als ich stehen blieb und mit meinem Feuerzeug schnipste.«
»Woran sieht man es?«
»Das Tor läuft in einer Art Gleitschiene. Alles sonst ist verrostet. Diese Schiene aber ist blank. Ein Zeichen, dass das Tor dort oft bewegt wird.«
»Umso besser. Dann können wir mit dem Lautsprecherwagen hineinfahren.«
Wir besprachen die Einzelheiten dieser Aktion. Auf jede Seite des Geländes wurden acht Mann beordert, die nichts anderes zu tun hatten, als die Mauer zu bewachen und keinen flüchtigen Gangster entkommen zu lassen.
»Die anderen«, sagte ich ernst, »werden die Bude stürmen. Natürlich erst, nachdem wir sie über den Lautsprecher zur Übergabe aufgefordert haben.«
»Das wird nichts nützen«, meinte Studeway.
»Natürlich nicht«, gab ich zu. »Aber Sie wissen ja, dass es unsere Pflicht ist, sie erst zur Übergabe aufzufordern. Wir dürfen nicht diejenigen sein, die zuerst schießen!«
Hätten wir doch nur eine blasse Ahnung davon gehabt, dass sämtliche, aber auch sämtliche Gangster auf ihren Feldbetten und Pritschen lagen und schliefen!
***
Wie immer in solchen Fällen hatten wir die Uhren aufeinander abgestimmt.
Studeway sollte die Postenketten an den Mauern inspizieren. Wir hatten diesen vier Abteilungen insgesamt sechs Minuten Zeit eingeräumt, um ihre Posten zu beziehen.
Phil wollte eine Gruppe der G-men führen, um das Verwaltungsgebäude zu übernehmen. Sobald er damit fertig war, sollte er das kleinere Fabrikgebäude durchsuchen.
Roger wollte den flachen Bau mit der Verladerampe übernehmen. Ich selbst ging mit dem Rest der Kollegen das große Fabrikgebäude an, in dem wir Licht hatten brennen sehen.
Vielleicht wundern Sie sich über diese Aufteilung und darüber, dass wir nicht von Anfang an alle Leute auf das große Gebäude konzentrierten. Aber wir wussten nicht, ob Harper nicht durch ein ausgeklügeltes Postensystem alle anderen Häuser in seine Stellung einbezogen hatte. Es galt auf jeden Fall zu vermeiden, dass eine Gruppe von uns zwischen zwei Feuer geriet. Man kann immer nur in eine Richtung schießen, und nichts ist so gefährlich, wenn man vor sich kämpfende Gangster hat, wie die Tatsache, dass sie einem auch noch in den Rücken fallen können.
Es galt also, auf möglichst schnelle Weise das gesamte Gelände abzukämmen, um alle verfügbaren Leute - sobald Klarheit geschaffen war - an dem Punkt einzusetzen, wo die Gangster sich tatsächlich aufhielten.
»Noch drei Minuten«, sagte Phil.
Wir saßen in dem Lautsprecherwagen, der auf meine Anforderung hin von unserer Fahrbereitschaft mitgeschickt worden war. Mit diesem Wagen wollten wir in die Mitte des Hofes fahren. Für den Fall, dass in Tornähe Posten standen, hatte Phil eine der Maschinenpistolen übernommen, damit er mir, der ich am Steuer saß, Feuerschutz geben konnte, wenn wir durch das Tor auf den Hof brachen.
Ich steckte mir eine Zigarette an. Drei Minuten. Das sind einhundertachtzig Sekunden.
Niemals schmeckt mir eine Zigarette so gut wie in den letzten Minuten vor einem solchen Einsatz. Es ist nicht, dass man irgendeine Angst zu betäuben
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