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015 - Das Blutmal

015 - Das Blutmal

Titel: 015 - Das Blutmal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jens Lindberg
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Sie heißt jedenfalls auch Anna. Aber …« Idusch zeigte auf den offenen Aktendeckel, »… ich entdeckte noch etwas anderes.« Er lächelte entschuldigend. »Vorerst ist es mehr eine Hypothese, eine Spielerei. Aber immerhin …«
    Veit beugte sich vor. Idusch deckte das obere Blatt mit der flachen Hand ab.
    »Waren Sie gut in Französisch, Kloss?«
    »Mittelprächtig.«
    »Na, Sie werden wohl behalten haben. was Gold auf französisch heißt.« »Gerade noch: L’or, männlich.«
    »Richtig. Und in Zusammensetzungen de l’or oder d’or. Die Hexe aus Glarus im Schweizer Prozess Göldi. – Können Sie mir folgen?«
    »Ja.«
    »Göldi ist eine Verniedlichungsform von Gold. Nun verniedlichen Sie einmal das französische Wort für Gold: D’ori.«
    »O Gott, das darf nicht wahr sein!« schrie Veit.
    »Ist aber. Streichen Sie das Apostroph, bleibt: Dori.«
    Veit drückte die Fäuste in die Augenhöhlen. »Kann es so was geben?«
    »Es gibt es, wie wir sehen. Bewiesen ist damit allerdings noch nichts. Aus den Unterlagen, soweit sie mir hier im Haus zur Verfügung stehen, ersah ich weiter, dass die Familie der unglücklichen Anna Göldi nach deren Hinrichtung ihren Heimatort Glarus verließ.«
    »Wohin ging sie?« fragte Veit ahnungsvoll.
    »Deshalb meine Frage am Telefon.« Idusch langte über den Tisch und legte seine Rechte beruhigend auf Veits Schulter. »Jetzt müssen Sie stark sein, Kloss! Die Göldis zogen nach
    Colmar. Das war 1783, ein Jahr nach dem unseligen Ende der Anna Göldi. Wahrscheinlich nahmen sie dort einen neuen Namen an. Das war damals so üblich. Sie übersetzten ihren alten Namen in die neue Landessprache. So wurde aus Göldi Dori.«
    Veit war wie zerbrochen. »Nach zweihundert Jahren! Nach zweihundert Jahren ersteht aus dem alten Hexengeschlecht meine Anna …«
    »Halt, halt!« Idusch schüttelte Veit. »Verrennen Sie sich nicht in eine fixe Idee! Bisher ist überhaupt nichts bewiesen. Sie haben vage Vermutungen, die sich auf Beobachtungen aufbauen, und ich habe eine gewagte Kombination vorgenommen.« Er klappte den Aktendeckel zu. »Jetzt werden wir warten.«
    Veit sprang auf. »Ich muss sofort zurück!« Er riss den noch immer triefenden Mantel vom Nagel. »Sie sind in Gefahr, Professor. Ich muss Anna sagen, dass das angebliche Zerwürfnis mit Ihnen ein glattes Missverständnis war.«
    Idusch drückte Veit wieder auf den Stuhl. »Nicht so wild, Kloss! Wer zu einem wissenschaftlichen Ergebnis kommen will, muss planmäßig Vorgehen.« Er lächelte. »Ich habe keine Angst. Im Gegensatz zu Ihnen glaube ich nicht an Hexen. Weder an die im 15. und 16. noch an die im 20. Jahrhundert. Ich bin Wissenschaftler.«
    Veit verharrte in völliger Lethargie.
    »He!« Idusch stieß ihn an.
    Veit schreckte hoch. »Ja?« fragte er benommen und murmelte: »Ihnen droht der Tod.«
    Der Professor lächelte. »Was mir morgen droht, ist entsetzliche Müdigkeit, Kloss.«
    Veits Hände zerrten an seinem Kragen als drohte er zu ersticken.
    »Wie sah die Anna Göldi aus?« fragte er gequält.
    »Na, hübsch, meine ich. Die Hexenjäger verfolgten vorzugsweise alte reiche und junge hübsche Frauen. Ersteres aus reinen Profitgründen, da der Besitz der Hexe dem Anzeigenden und der Obrigkeit, sprich der Kirche, zufiel. Letzteres aus perverser Lust. Denn die Richter weilten in den finsteren Gewölben, wenn die jungen nackten Frauen grausam gefoltert wurden. Also hübsch wird die Anna Göldi wohl gewesen sein.«
    »Hatte sie schwarze Haare?«
    »Da bin ich überfragt.«
    »Und ihre Augen?«
    »… Keine Ahnung.«
    »Und wo kann ich das erfahren?« fragte Veit gehetzt, da er durch die verschlossene Küchentür Geräusche hörte.
    »Am besten gehen Sie mal in die Staatsbibliothek. – Oh, da kommt Leonore!« Er rollte den Aktendeckel zusammen, lehnte sich zurück und sagte laut: »Wenn die neue Strafrechtsreform durchkommt …«
    Er brach ab, als sich die Tür öffnete.
    Die ausdrucksvollen graugrünen Augen der Eintretenden blickten liebevoll den Professor an und musterten dann erstaunt Veit.
    »Ich störe?« fragte sie.
    »Nein, Liebste. Ein zukünftiger Doktorand. Wir fachsimpelten. Darf ich dir Veit Kloss vorstellen?«
    Veit stand auf und nickte verwirrt.
    »Ich wollte sowieso gehen.« Er gab dem Professor die Hand. »Haben Sie vielen Dank für Ihre Freundlichkeit. Ich sehe nun viel klarer.«
    Er schlüpfte in seinen Mantel, nahm den Schirm von der Messingstange und lächelte der Hausfrau müde zu.
    »Ich wünsche Ihnen viel

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