015 - Das Blutmal
Grundlinie und rief: »Schach – und matt!« Er lachte. »In Form bist du nicht gerade. Ärger?«
»Nein – übermüdet. Ich nutze den Vorlesungsstreik, um alles zu repetieren. In Straf recht habe ich arge Lücken.«
Er packte die Figuren in den Kasten. Menz drückte seine Zigarette aus. »Ringe hast du unter den Augen, als ob deine Anna eine männermordende Messalina wäre.«
Er lachte allein über seine Bemerkung.
»Wenn es überall so stimmte wie im Bett …« Er schlug sich an die Stirn. »Mensch, total verschwitzt! Ich muss ja noch zur Reinigung.«
Er verließ das Zimmer. Verdammt, dachte er, ich muss Gerd loswerden, ehe Anna zurück ist. Er wusste, dass er einem Disput über die veränderte Haar und Augenfarbe nervlich nicht mehr gewachsen war.
Er hielt die Haustür auf, als Menz aus dem Zimmer schlenderte und ihn freundschaftlich einhakte.
»Du solltest mal ausspannen, Alterchen. Dir flattern die Nerven gehörig. Alle finden dich verändert.«
Veit schwieg. War das ein Wunder, dachte er. Ich lebe im Vorhof zur Hölle und muss ein Alltagsgesicht zeigen.
Vor dem Haus verabschiedeten sich die Freunde. Menz stieg in seinen Wagen. Veit wartete, bis er um die nächste Ecke fuhr, und stieg dann wieder die Treppen hoch. Er setzte sich vor den ausgeschalteten Fernseher und wartete. Das Telefon läutete. Er nahm nicht ab. Das wiederholte sich ein paar Mal. Für Veit verschwammen Zeit und Raum. Er schwebte einem kreisenden dunklen Punkt zu, der langsam Annas Züge annahm.
Anna Dori! Veit versuchte ein Lächeln. Es misslang. Wie konnte er sich helfen? Und ihr? Gab es einen Ausweg aus dem teuflischen Dilemma? Ja, sie hatten heiraten wollen. Weshalb auch nicht? Es gab keine Ebene, auf der sie nicht bestens harmonierten.
Verbittert schlug er mit der Faust auf den Tisch. Ausgerechnet ihm musste das passieren! Oder war er vielleicht verrückt? Sah er Gespenster, wo es keine gab?
Er schüttelte den Kopf. Nein, er irrte nicht. Unglücklich ließ er im Geist alle Ungeheuerlichkeiten Revue passieren.
Längst war es dunkel geworden. Veit spürte nicht Hunger noch Durst. Er wartete. Seine Blicke wanderten zu dem Bücherpaket. Noch hatte er nicht den Mut gefunden, es aufzuschnüren. Die Angst, neue Beweise zu finden, siegte noch über seine Neugier.
Schließlich stemmte er sich von der Couch hoch. Er war fast steif in den Gelenken vom langen bewegungslosen Sitzen. Langsam bückte er sich und wog das Paket in der Hand. Es schien ihm zentnerschwer.
Anhaltendes Läuten riss Veit aus traumlosem Schlaf. Er tastete sich im Dunkeln zum Lichtschalter, rannte die große blaue Bodenvase um. Fluchend stolperte er zur Tür, wollte sie aufreißen und merkte, dass er abgeschlossen und den Schlüssel aus Versehen hatte stecken lassen.
Das Treppenhauslicht war ausgegangen. Anna stand regungslos im Lichtkegel, der nach draußen fiel.
»Ich dachte schon«, sagte sie ernst »du wolltest mich nicht mehr haben.« Traurig blickte sie zu ihm hoch. »Wenn du mich los sein willst, Schatz, dann musst du es nur sagen. Irgendwie hasst du mich wohl. Ich merke es. Nur zermartere ich mir den Kopf, warum.« Sie nahm kaum die Füße hoch beim Gehen. »Ich klingle mindestens schon zehn Minuten lang.«
»Ich war eingeschlafen. Wie spät ist es?«
»Mitternacht.« Anna folgte ihm ins Wohnzimmer.
»Ein langer Tag«, sagte sie ausdruckslos.
»Wo warst du denn die ganze Zeit?« Veit setzte sich auf die Couch und zeigte auf die umgestürzte Vase. »Eben passiert, als ich …«
Anna winkte apathisch ab. »Was macht das schon? Meinetwegen kann alles in die Luft gehen, wenn wir uns nur lieben, Schatz.«
Ihr Blick war nur noch Trauer … »Würdest du mir vielleicht sagen, wo du warst?« drängte Veit. »Ich schmore hier in Unruhe und du …«
»Ach, was du sagst, ist nicht wahr. Längst wartest du nicht mehr auf mich, Schatz. Deshalb irre ich ja durch die halbe Stadt – ziellos. Warum bist du mir auf einmal feindlich gesinnt?«
Müde setzte sie sich neben ihn. Jede Faser ihres Körpers wartete auf seine Umarmung. Doch umsonst.
»Soll ich dir was zu essen machen?« fragte Veit.
»Essen!« Sie lachte gequält. »Ich fühle die gläserne Wand zwischen uns stündlich wachsen.« Ihr Kopf sackte herunter. »Keine Umarmung, keine Liebe, kein Vertrauen. Nur hässliche Fragen. Warum tust du das? Was soll das? Den Tod Fremder schreibst du mir zu. Ach, wie einfach wäre es, wenn du sagtest: Mein Schatz – es ist Schluss. Wir müssen uns trennen.
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