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015 - Das Blutmal

015 - Das Blutmal

Titel: 015 - Das Blutmal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jens Lindberg
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stark mit dem Gegenpol des Guten identifizierten? Wen sollte er fragen, ohne selbst für verrückt gehalten zu werden? War das Mädchen vielleicht nur ein Instrument anderer, die sie für ihre Manipulationen missbrauchten? Denn für Veit war es absolute Gewissheit, dass der Tod der Frau Spatz, Annas fanatische Wünsche und der blutrote Halsring ursächlich zusammenhingen.
    Und nun hatte er wieder den Ring gesehen! Wieder hatte Anna starr, wie besessen, in die Weite gesehen. Und er ahnte den Tod eines Menschen voraus.
    Er hatte Menz über das Gespräch mit Anna ausfragen wollen, aber der hatte abgewinkt.
    »Was man so für dummes Zeug redet, Veit«, hatte er gesagt.
    Jetzt hörte er Anna kommen. Er stellte sich schlafend, reagierte nicht auf ihre liebevollen Anrufe, ihr Streicheln und den flüchtigen Kuss auf die Stirn. Die Luft zum Atmen wurde ihm knapp. Schweißtropfen perlten ihm von der Stirn. Er hätte aufspringen und schreien mögen, biss sich aber auf die Lippen.
    Annas Schritte entfernten sich. Er hörte sie Fenster öffnen, Gläser und Flaschen in die Küche tragen. Sie pfiff und sang dabei vor sich hin. Sie bewegte sich völlig normal.
    Ihm wurde kalt. Was war das für eine Welt, in der die Schuldigen ruhig lebten und die Wissenden dem Wahnsinn zutrieben?
    Völlig entnervt dämmerte er vor sich hin. Kein Schlaf erlöste ihn.
    Gegen jede Gewohnheit verspätete sich Professor Idusch. Er warf die Tasche auf den Tisch und murmelte: »Muss mich entschuldigen.« Er lächelte ein wenig verlegen. »Schien, als ob meine Frau ihr Kind bekommen würde. Ich brachte sie zur Klinik. Entschuldigung akzeptiert?«
    Das Echo war positiv.
    Idusch schlug sein Kollegheft auf, und sah nur eine spärliche Runde.
    »Nanu? Bin ich zu langweilig?«
    Hans Laue meldete sich. »Keinesfalls. Aber die Dori und Veit Kloss weihten gestern ihre neue Wohnung ein. Da waren – er hob die Schultern – oder da sind noch viele von uns.«
    »Oh! War’s wenigstens nett?«
    »Prima!« Hans Laue gähnte.
    »Man sieht es.« Idusch klopfte mit dem Knöchel auf den Tisch. »Wenn Sie mal den Schwarz-Kommentar aufschlagen wollen, da finden Sie auf Seite 543, wenigstens in meiner Auflage, das ist die …« Er hörte zu sprechen auf, da er den Pförtner in der Tür stehen sah. »Was gibt’s?«
    »Dringend!« sagte der Mann. »Sie möchten bitte sofort ins Sekretariat kommen. Professor Welser wartet …«
    »Anruf von der Klinik?« fragte Idusch aufgeregt.
    »Mir hat man nicht gesagt, warum.«
    »Ich bin gleich wieder da. Warten Sie, bitte!«
    Idusch folgte dem Pförtner.
    Einige Studenten arbeiteten, andere hörten sich den Partybericht Laues an. Nach knapp zehn Minuten kehrte Professor Idusch zurück. Er setzte sich und sah seine Studenten bedrückt an.
    »Böse Nachricht«, sagte er gedämpft. »Oh! Von Ihrer Frau?« fragte Laues Freundin Karola.
    »Gott sei Dank – nein! Aber trotzdem.« Er zog einen Zettel aus der Tasche. »Wir haben alle einen schweren Verlust erlitten. Vom Dekan erfuhr ich eben, dass der Präsident des Amtsgerichts, Professor Dr. Reimers, im Alter von vierundsechzig Jahren tödlich verunglückt ist. Gegen zwei Uhr dreißig prallte er in der vergangenen Nacht mit seinem Wagen gegen einen parkenden unbeleuchteten Laster. Er war auf der Stelle tot. Genickbruch.« Idusch sah hoch. »Was meinen Sie?« fragte er, und da keine Antwort erfolgte, fuhr er fort: »Ich weiß, dass dieser Mann als Prüfer arg verschrien war. Das ändert aber nichts an seiner überragenden Qualifikation als Jurist. Das wäre es.« Er packte seine Unterlagen ein. »Bis zum nächsten mal. Ich muss zur Konferenz. Die Prüfungskommission muss neu besetzt werden. Ich danke Ihnen.«
    »Grüßen Sie Ihre Frau! Wir drücken ihr die Daumen«, rief
    Karola.
    Idusch lächelte ihr zu. »Nett. Kein Mensch kann genug gute Wünsche mit auf den Weg bekommen.« Und ernster: »Reimers haben sie offensichtlich gefehlt.«
     

     
    In dem dunklen Raum hatte Veit jede Zeitorientierung verloren. Er hatte Anna zu Bett gehen hören. Die eintretende Stille war bald von den morgendlichen Geräuschen der Stadt abgelöst worden. Dann hörte er wieder Anna; baden, Frühstück machen, aufräumen. Ein paar Mal hatte sie zu ihm hereingeschaut. Er hatte nicht die Kraft gefunden, aufzustehen.
    Endlich zwang ihn eine simple Tatsache zur Kapitulation: er musste auf die Toilette. Anna bemerkte ihn nicht, als er sich an der Küche vorbei schlich. Auf dem Rückweg aber stellte sie sich ihm in den

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