015 - Der Schatz des Poseidon
sich der Einschnitt verbreiterte. Dort blieb er stehen und blickte den Konzernchef an.
»Wir sind da!«
»Hier?« Frascati sah sich prüfend um. Außer Mauern, Sträuchern und einem in der Nähe stehenden einzelnen Baum war nichts zu sehen, das auch nur entfernt an einen Eingang in die Unterwelt erinnerte.
»Hier!«, bestätigte Ay mit triumphierender Miene. Er zog an dem Busch, vor dem er stand und hob ihn zur Seite. Dahinter kam ein einigermaßen rundes Loch im Boden zum Vorschein, das kaum mehr als einen halben Meter durchmaß. Der Raubgräber nahm einen meterlangen Eisenstab, den wohl einer seiner beiden Helfer bei der Bergung von Hakans Leiche hier vergessen hatte, auf und warf ihn achtlos beiseite.
»Da müssen wir hinein?«, fragte Frascati ungläubig.
Ay verzog das Gesicht. »Von ›müssen‹ kann gar keine Rede sein. Wenn Sie umkehren wollen …«
Der Konzernchef winkte Chan und die beiden Leibwächter zu sich heran und unterhielt sich einige Minuten flüsternd mit ihnen. Dann tat er einen Schritt auf Ay zu, der abwartend vor dem Loch gestanden hatte.
»Also gut – aber Sie gehen voraus!«
Ay zuckte mit den Schultern. »Wie Sie wollen!« Er winkte Chan zu, der ihm den Sack mit der Ausrüstung übergab. Langsam und methodisch machte er sich daran, die Helme, Seile und Kombigurte auszupacken.
In Wahrheit war der Raubgräber nicht halb so ruhig, wie er sich gab. Er wusste zwar ungefähr, was die beiden Schwarzgekleideten, die an diesem Morgen bei ihm aufgekreuzt waren und wahrscheinlich dem MAFIA-Konzern angehörten, vorhatten: Sie wollten Lino Frascati, den Chef von Mechanics, entweder kidnappen oder ermorden. Was er jedoch nicht wusste war, inwiefern er dabei eine Rolle spielte – außer der des Köders natürlich. Es konnte durchaus sein, dass sie, wenn sie ihr Ziel erreicht hatten, ihn umbrachten, um sich auf diese Weise eines lästigen Mitwissers zu entledigen.
Als er das Sicherungsseil an demselben Baum befestigt hatte, der schon einmal diesem Zweck gedient hatte und nachdem er Frascati und dem Asiaten beim Anlegen der Kombigurte behilflich gewesen war, machte er sich an den Einstieg. In Gedanken beglückwünschte er sich dazu, dass er Hakan Aslans Leiche vorsichtshalber bereits wenige Nächte nach dem ›Unglücksfall‹ mit Hilfe seines Bruders aus dem Schacht geholt und ›entsorgt‹ hatte.
Ohne Zwischenfall gelangten die drei nacheinander zu dem Absatz in fünfundzwanzig Meter Tiefe, während die beiden Bodyguards oben vor dem Einstieg Wache hielten. Nach einer kurzen Pause stieg Cengiz Ay weiter hinab und Frascati, der in der Mitte ging, machte sich bereit, ihm zu folgen. Da ertönten, durch den langen und engen Schacht stark gedämpft und dumpf hallend, mehrere entfernte Explosionen.
»Schüsse!«, erkannte Jackson Chan. »Eine Falle!«
Er hat recht , schoss es Frascati durch den Kopf, es ist tatsächlich eine Falle! In Sekundenbruchteilen wog er mögliche Handlungen und ihre Folgen ab, dann befahl er dem Überlebensspezialisten: »Sie gehen zurück und sehen, was Sie tun können! Ich warte, bis Sie oben sind und komme dann nach! Wir sitzen hier wie Ratten im Loch, aber wir können nicht beide gleichzeitig auf das Seil!«
Chan nickte hastig und machte sich an den Aufstieg. Der Konzernchef zog eine kleine Pistole aus der Innentasche seiner Jacke und richtete sie nach unten. »Wenn sich der Dicke blicken lässt, bekommt er eine Kugel!«, rief er Chan nach.
Doch Cengiz Ay hatte, als er die fernen Schüsse hörte, die richtigen Schlüsse gezogen und sich die letzten Meter, die ihm noch zum Querschacht fehlten, einfach fallen lassen. Er hatte keine Waffe bei sich und so blieb ihm nichts weiter übrig als zu hoffen, dass die beiden Männer über ihm sich nach Erkennen der Lage nach oben bewegten und nicht nach unten. Um nichts in der Welt würde er in den nächsten Stunden den Wiederaufstieg wagen.
Währenddessen wartete Lino Frascati mit angehaltenem Atem darauf, dass Jackson Chan den Einstieg erreichte und damit das Seil wieder freigab. Ihm wurde in diesen sich endlos hindehnenden Sekunden klar, dass die antike ›Laserwaffe‹, wenn er sie auch teuer bezahlt hatte, tatsächlich so etwas wie ein ›Danaergeschenk‹ gewesen war – nichts anderes als ein Köder, den er nur zu bereitwillig geschluckt hatte. Doch er war nach wie vor davon überzeugt, dass sowohl die ›Waffe‹ als auch die Photographien echt waren – irgend jemand hatte sie lediglich dazu benutzt , ihn in eine Falle
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