016 - Die Schlangenköpfe des Dr Gorgo
nicht allein nach Hause gehen. Es ist zu gefährlich !«
»Ich habe keine Angst .«
»Davon ist nicht die Rede. Vorsichtig sein hat nichts mit Angst zu
tun, Sarah .«
»Ich geh, Liz .« Sie winkte ab. »Warum
sollte Gorgo ausgerechnet jetzt unterwegs sein? London ist groß. Warum gerade
hier in dieser Gegend? Und wer sagt dir, dass er überhaupt unterwegs ist ?«
Sarah Malcolm griff nach dem beigen Übergangsmantel, der an einem
krummen Nagel an der Wand hing.
»Cheerio«, sagte sie und nickte Liz matt zu. »So schnell seht ihr
mich hier nicht mehr. Aber man muss eben seine Erfahrungen machen, nicht wahr ?«
Aus schmalen Augenschlitzen blickte Liz müde der Davongehenden
nach. Sie zuckte die Achseln. »Wenn du noch etwas warten würdest. Nur eine
Stunde noch, Sarah, ich werde dich begleiten.«
»Laß dir den Abend durch mich nicht vermiesen! Ich bin eine trübe
Tasse. Irgendwie passe ich nicht in die Gesellschaft heute Abend .«
Liz war vom Alkohol und von der Droge zu sehr benommen, als dass
sie noch länger die Diskussion hätte fortsetzen können. Die Kastanienbraune
öffnete noch mal müde den Mund, brachte aber kein Wort mehr über die Lippen.
Mit langsamen Schritten näherte sie sich der Tür. Vor ihren Augen war alles in
Nebel getaucht. Sie murmelte noch irgend etwas von Unsinn und Gefahr vor sich
hin, begriff aber selbst ihre eigenen Worte nicht mehr.
Wankend näherte sie sich dem dunstigen Raum. Die Gestalten auf dem
Diwan und dem Boden nahm sie nur verschwommen wahr. Ihr Blickfeld war
eingeengt. Sie hatte das Gefühl, in eine farbige Röhre zu sehen. Die Wirkung
der Droge wurde stärker, und Liz hatte das Gespräch mit Sarah Malcolm bereits
wieder vergessen.
Das kastanienbraune Girl ließ sich einfach auf einen farbigen
Schaumgummiwürfel plumpsen. Gedankenverloren griff sie nach dem Joint, der noch
immer die Runde machte. Sie starrte in abwesende, weltentrückte Gesichter und
verlor sich in ihren Träumen, während draußen die Tür zuschlug und die Schritte
von Sarah Malcolm sich entfernten.
●
Sarah blieb sekundenlang vor der Haustür stehen und starrte auf
die menschenleere, nebelerfüllte Straße.
Weit und breit kein Geräusch.
Sie wusste, dass nur etwa hundert Meter entfernt die massigen
Mauern des Towers in die Höhe ragten. Aber sie waren von hier aus nicht
wahrnehmbar.
Sarah Malcolm zog fröstelnd die Schultern
hoch. Ein kühler Wind wehte von der nahen Themse her. Auf der Tower Bridge
vernahm man vereinzelt das Geräusch eines vorbeifahrenden Wagens.
Das Mädchen ging die Great Tower Street entlang. Es passierte den
menschenleeren Platz, auf dem einsam und verlassen ein klappriger Kiosk stand.
Man konnte sich nicht vorstellen, dass tagsüber hier Tausende von Touristen
vorbeiströmten, um den Tower zu besichtigen. Die Ruhe, die jetzt herrschte, war
ungewöhnlich für London.
Aber hier in der City legte sich der Betrieb mit dem Einbruch der
Dunkelheit. Es gab in der Nähe des Tower hauptsächlich Banken, Bürogebäude und
Geschäfte. Nur hin und wieder ein kleines Restaurant. Die aber schlossen schon
gegen acht Uhr abends. Länger erlaubten es die Gewerkschaften nicht.
Die City hier war kein Wohnviertel. Wenn die Angestellten ihre
Büros verließen, verstummte dieser Stadtteil Londons praktisch.
Eine Ausnahme bildete scheinbar nur John Cork, der Maler. Er lebte
unter dem Dach eines reinen Bürogebäudes. Ein Bekannter hatte ihm diese billige
Wohnung vermittelt.
Sarah Malcolm hörte ihre Schritte auf der
feuchten, leeren Straße. Die rauhen Mauern auf der gegenüberliegenden Seite
verstärkten jedes Geräusch und warfen das Echo zurück.
Das Mädchen musste nur wenige hundert Meter durch Nacht und Nebel
gehen. Auf der anderen Straßenseite, an der Ecke Byward Street Seething Lane
befand sich schon der Eingang zur Untergrund-Station.
Sarah lächelte. Liz und ihre dummen Bemerkungen. Was sollte schon
geschehen auf diesem kurzen Weg? Außerdem verstand sie es ausgezeichnet, sich
ihrer Haut zu erwehren.
Die frische, kühle Luft tat ihr gut. Ihr Kopf wurde klarer, und
Sarah war froh, dem Dunst und der Unruhe droben in der kleinen Dachkammer
entronnen zu sein.
Sie blieb einen Moment lang stehen und suchte in ihrer Handtasche
nach den Zigaretten und fand eine zerknüllte Schachtel, in der noch zwei
zerdrückte Stäbchen steckten. Mit einem kleinen silbernen Feuerzeug zündete sie
sich die Zigarette an.
Tief inhalierte die Blondine den Rauch. Dann ging sie weiter.
Wieder
Weitere Kostenlose Bücher