018 - Die Vampirin Esmeralda
groß wie Taubeneier. Die Straße war mit einer weißen, glitzernden Schicht bedeckt. Das Licht der Scheinwerfer brach sich in den Eiskristallen. Und es hagelte immer stärker. Die Körner, von denen manche nun schon die Größe einer Männerfaust hatten, sausten wie Geschosse auf den Wagen herunter.
»Ich halte es nicht mehr aus!« kreischte Tina und hielt sich die Ohren zu.
Lester konnte sie sogar verstehen. Der Wagen ließ sich kaum noch steuern. Trotz des ohrenbetäubenden Lärms glaubte er das Knirschen der von den Rädern zermalmten Hagelkörner zu hören. Es hörte sich so an, als ob jemandem die Knochen gebrochen würden.
Hier ging es nicht weiter. Lester ließ den Wagen ausrollen. Kaum stand er still, hörte der Hagel so abrupt auf, wie er eingesetzt hatte. Tina saß völlig apathisch da. In diesem Augenblick sah sie wie eine Schwachsinnige aus. Als Lester sich jedoch anschickte, die Wagentür zu öffnen und auszusteigen, warf sie sich auf ihn und versuchte ihn zurückzuhalten.
»Wo willst du hin? Bleib bei mir!«
Er stieß sie fort. »Sei nicht närrisch! Ich will mich nur einmal umsehen.« Er stieg aus und versank bis zu den Knöcheln in den knirschenden Eiskörnern. Die Karosserie seines Wagens war völlig verbeult. Das Blech sah aus, als hätte man es mit dem Vorschlaghammer bearbeitet.
»Lester!«
Er wirbelte herum, als er Tinas Aufschrei hörte, eine passende Zurechtweisung auf der Zunge; sein Ärger verrauchte aber sofort, als er in die Richtung ihrer ausgestreckten Hand blickte. Im Licht der Scheinwerfer war eine undeutlich zu erkennende Gestalt aufgetaucht. Lester konnte nur feststellen, daß sie in einen schwarzen Umhang gehüllt war.
»He, Sie da!« rief er in seinem gebrochenen Spanisch. »Können Sie uns sagen, wo wir hier sind?«
Die Gestalt wich einige Schritte zurück. Dann ertönte ein schrilles Lachen, und eine krächzende Stimme sagte irgend etwas, das Lester nicht verstand.
»Lester!« rief Tina mit weinerlicher Stimme. »Komm, fahren wir schnell weiter, bevor …«
Er griff blitzschnell durch die offene Tür in den Wagen und schaltete das Fernlicht ein, sah aber nur noch, wie die Gestalt mit wehendem Umhang feldeinwärts rannte. Er war nun sicher, daß es sich um eine Frau handelte.
»Komische Alte«, murmelte er, während er sich wieder hinter das Lenkrad klemmte. »Was hat sie uns denn zugerufen? Hast du sie verstanden?«
Tina fröstelte und sagte: »Versprich mir, daß du bis Cordoba durchfährst, Lester! Halte nicht mehr an, was auch passiert! Ich werde erst aufatmen, wenn wir bei meinen Eltern sind.«
Er fuhr wieder an. Einen Kilometer weiter war die Straße frei von Hagelkörnern. »Willst du mir nicht endlich verraten, was die Alte gesagt hat?«
Tina hatte die Lippen fest zusammengepreßt. Es dauerte eine ganze Weile, bis sie ihm antwortete, und ihre Stimme klang fremd, als sie sagte: »Sie hat uns prophezeit, daß wir unserem Schicksal nicht entrinnen könnten. Einen von uns beiden erwarte das Fegefeuer, den anderen der Tod.«
Lester lachte auf und schüttelte den Kopf. »So ein Unsinn!«
Ein Blick in Tinas Gesicht zeigte ihm, daß sie nicht seiner Meinung war.
Zehn Kilometer weiter ging es bergab. Unten war die Straße überschwemmt. Ein Pferdefuhrwerk und ein Lastwagen standen quer. Der Kutscher und der Lastwagenfahrer diskutierten erregt miteinander. Als Lester den Morris wenige Schritte vor ihnen anhielt, gestikulierten sie temperamentvoll in seine Richtung. Aus ihren Handbewegungen schloß er, daß es hier nicht weiterging und er besser umkehren solle.
»Erkundige dich einmal, wo wir hier sind und was der kürzeste Weg nach Cordoba ist«, bat er seine Frau und stieg aus.
Tina blieb im Wagen sitzen und unterhielt sich durch das heruntergekurbelte Fenster mit den beiden Männern.
»Was sagen sie?« erkundigte sich Lester schließlich ungehalten, der kaum ein Wort verstanden hatte.
»Wir sind in der Nähe von El Rubio, gut zwanzig Kilometer von der E 25 entfernt«, sagte Tina. »Die beiden meinen, daß wir am sichersten nach Cordoba kämen, wenn wir über Estapa und Puente Genil führen.«
»Gibt es denn keinen kürzeren Weg?«
»Doch«, sagte Tina und biß sich auf die Lippe. »Es gibt eine Abkürzung, aber die beiden meinen, sie sei gefährlich.«
»Inwiefern gefährlich?«
»Ich weiß es nicht – und möchte es auch gar nicht wissen«, sagte Tina fröstelnd. »Mir genügt es, daß sich der Kutscher bekreuzigte, als der Lastwagenfahrer die
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