018 - Die Vampirin Esmeralda
Zähnen der Vampirin zusätzlich bedroht, brach der kalte Schweiß aus.
»Aber warum gerade mich?« fragte er mit belegter Stimme.
»Warum gerade mich?« äffte die Vampirin ihn nach. »Weißt du es denn wirklich nicht, Lester? Denke scharf nach! Und sieh mich an! Sieh mich ganz genau an!«
Er versuchte es, aber lange konnte er nicht in die häßliche Fratze blicken.
»Erkennst du mich?« fragte Esmeralda.
Er schüttelte zaghaft den Kopf.
»Du kannst dir also nicht denken, wer ich bin. Aber wenn ich nicht durch diese Narben entstellt wäre, würdest du mich als deine Frau Tina erkennen. Ja, ich bin es, Lester. Deine Tina, mit der du heute die Hochzeitsnacht feiern wolltest. Deine ängstliche kleine Tina, die sich fürchtete, den langen finsteren Korridor zur Toilette allein zu gehen. Für dich ist es kaum eine Stunde her, daß dich Tina anflehte, sie zu begleiten, aber du bliebst hart. Und so mußte ich ganz allein in den Korridor hinaus. Oh, ich erinnere mich noch ganz genau an jede Einzelheit, obwohl für mich seit damals über vierhundertfünfzig Jahre vergangen sind. Ich sah in der Wand plötzlich ein schwarzes Loch, das noch schwärzer war als die finstere Nacht. Ein Sog packte mich. Ich wurde in das absolute Nichts gezerrt und fand mich plötzlich im Jahre 1506 wieder, inmitten der Spanischen Inquisition.«
Lester schüttelte ungläubig den Kopf. Er war nahe daran, den Verstand zu verlieren. Er wollte sagen, daß dies alles nicht wahr sein könne; er hatte doch mit eigenen Augen seine Tina und Esmeralda zusammen gesehen; sie konnten nicht miteinander identisch sein, denn ein und dieselbe Person konnte nicht zweimal existieren.
Als hätte sie seine Gedanken erraten, sagte sie: »Ich bin nicht mehr die Tina, die du gekannt hast. Graf de Godoy hat mich durch seinen zärtlichen Biß verwandelt. Ich muß ihm dankbar dafür sein, denn er hat mich unsterblich gemacht. Nur als ruhelose Vampirin konnte ich die Jahrhunderte überleben, um an diesem Tag auf dich zu warten. Verstehst du jetzt endlich, Lester?«
»Wahnsinn!« stieß er keuchend hervor. »Sie sind verrückt! Heilige Mutter …«
»Keine Obszönitäten, Lester!« herrschte sie ihn an, und ihr stinkender Atem schlug ihm ins Gesicht. »Ich will, daß dir die Zusammenhänge klarwerden. Du sollst wissen, warum du sterben mußt.«
»Nein, ich will nicht …«
»Doch!« Ihr Zähne näherten sich seinem Hals. In ihre Augen trat ein verrückter, lüsterner Ausdruck. »Ich werde zuerst dein Blut trinken. Das Blut meines Gemahls in der Hochzeitsnacht. Wie habe ich mich darauf gefreut! Und dann werde ich dich erdolchen, bevor du zu dem werden kannst, was auch ich bin.«
Vor der Tür polterte jemand. Als sich Esmeralda umdrehte, sah sie dort den Mann stehen, der Tina in der Bodega sein aufrichtiges Bedauern ausgedrückt hatte: Dorian Hunter, den Dämonenkiller. Die Linke hielt den Pflock umklammert, in der Rechten lag fast spielerisch ein schwerer Vorschlaghammer.
»Jetzt werde ich nachholen, was ich als Juan Garcia de Tabera versäumt habe«, sagte er.
Ohne eine weitere Erklärung stürzte er auf Esmeralda, riß sie von ihrem Opfer fort und schleuderte sie gegen die Wand.
Lester Nelson barg sein Gesicht in den Armen, als er sah, wie Dorian Hunter, vor der Vampirin stehend, mit dem Vorschlaghammer zum Schlag ausholte. Später dachte er, daß es besser gewesen wäre, sich die Ohren zuzuhalten. Das Geräusch des niedersausenden Hammers erinnerte ihn an den Moment, als er mit dem Wagen über die zentimeterdicke Schicht von Hagelkörnern gefahren war; aber noch furchtbarer war der Schrei, so unwirklich und animalisch, daß er unmöglich von einem menschlichen Wesen stammen konnte.
Als alles vorbei war, entglitt der schwere Hammer Dorian Hunters Fingern. Er drehte sich zu Lester um, der sich ängstlich gegen die Wand preßte.
»Sie haben nichts zu befürchten«, sagte der Dämonenkiller und ging zur Tür, um sie zu schließen. Dann setzte er sich auf den Tisch und zündete sich eine Zigarette an.
»Warum haben Sie das getan?« Lester kauerte noch immer zwischen Bett und Nachtkästchen.
»Sie war ein Vampir«, sagte der Dämonenkiller knapp, und nach einer Weile fügte er hinzu: »Glauben Sie nur nicht, daß mir das leichtgefallen ist. Ich habe sie einmal geliebt.«
»Tina?« Lester schluckte, blickte in die Richtung, wo die Tote lag, und war froh, daß er sie nicht sehen konnte. Das Bett versperrte ihm die Sicht auf den Leichnam.
»Ich habe sie als
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