018 - Die Vampirin Esmeralda
bemitleidenswerten Zustand: bis auf die Knochen abgemagert, verschmutzt, verseucht und krank. Manche konnten sich vor Schwäche nicht auf den Beinen halten und kamen auf allen vieren aus ihren Löchern gekrochen. Es war ein Bild des Jammers.
Juan sah, wie eine der Gefolterten in den Armen ihres Mannes starb, als dieser sie vor Wiedersehensfreude an sich drückte. Unbeschreibliche Szenen spielten sich ab. Dem einen fehlte ein Arm, dem anderen hatte man die Zunge herausgeschnitten, einer lag mit verbrannten Beinen da, ein anderer hatte zerschmetterte Knochen.
Beim Anblick der Gefolterten steigerten sich die Wut und der Haß des Volkes ins Unermeßliche. Gefangenenwärter wurden in den Folterkammern zusammengetrieben und den Torturen unterzogen, die sie den Opfern der Inquisition zugedacht hatten. Improvisierte Femegerichte wurden abgehalten, und die Urteile lauteten immer gleich: Tod durch die Folter der Gegeninquisition.
»Esmeralda!«
Juan hastete durch die Menge und rief immer wieder den Namen der geliebten Frau. Er stützte einen Alten, der nur noch ein Bein hatte und sich an der Wand entlang in Richtung der Ausgänge vortastete.
»Hast du Esmeralda gesehen?«
»Welche Esmeralda? Die Frau des Herbergenbesitzers, die man der Feuerfolter unterzogen hat?«
Juan ließ von dem Alten ab und rannte weiter. Er bahnte sich rücksichtslos seinen Weg. Vor ihm tauchte eine Frau auf. Sie kehrte ihm den Rücken zu, doch glaubte er von der Figur her eine Ähnlichkeit mit der Geliebten zu erkennen.
»Esmeralda!«
Er faßte sie an der Schulter und drehte sie zu sich herum. Ihr Gesicht und ihr Oberkörper waren von Brandwunden entstellt. Als sie den Mund öffnete, sah Juan, daß man ihr alle Zähne ausgeschlagen hatte. Doch es war nicht Esmeralda.
»Weißt du, wo Esmeralda ist?« fragte er einen der Gefolterten, der kraftlos auf dem Boden lag.
»Ja, ja, die ist in einem der hintersten Gewölbe eingekerkert. Sie war zusammen mit mir in der Folterkammer.«
Juan krampfte es das Herz zusammen. Wenn Lucero es gewagt haben sollte, seine Folterknechte auf Esmeralda zu hetzen, dann würde er ihn eigenhändig umbringen. Er durchsuchte alle Kerker. Er griff sich eine Fackel und leuchtete damit in die Zellen. Doch nirgends fand er Esmeralda, bis ihm ein kahlgeschorenes Mädchen von höchstens dreizehn Jahren sagte, daß die Hexe Esmeralda nach oben gebracht worden sei. Sie hatte zugegeben, daß sie Luceros Schützling war, und man hatte sie gepackt, fortgezerrt und ihr zu verstehen gegeben, daß sie verdientermaßen auf dem Scheiterhaufen brennen würde.
Juan stürmte nach oben. Als er ins Freie kam, sah er im Jardines des Alcazar bereits einige Scheiterhaufen lodern. Soldaten, Folterknechte und höhere Beamte des Inquisitionstribunals wurden unter dem Jubel der Menge in die Flammen geworfen. Zwei grobschlächtige Männer zerrten eine Frau in Lumpen auf eines der Feuer zu. Juan sah, wie sie sich verzweifelt zur Wehr setzte, hörte ihre ängstlichen Schreie und glaubte, Esmeraldas Stimme zu erkennen. Er bahnte sich rücksichtslos einen Weg durch die Menge.
»Halt!« schrie er so laut er konnte, als er sah, wie die beiden Männer die Frau auf den Scheiterhaufen stoßen wollten. »Halt, im Namen von Señor Fuenseca!«
Das half. Die beiden Männer hielten verblüfft inne und drehten sich um.
»Ist das Esmeralda?« fragte Juan keuchend, als er bei ihnen angelangt war.
Der eine nickte irritiert. Juan stieß ihn beiseite. Der andere ließ die Frau von selbst los. Diese schluchzte auf und wollte sich freiwillig in die Flammen stürzen. Juan erwischte gerade noch ihren Arm und zog sie zurück. Sie senkte den Kopf, wandte verzweifelt das Gesicht ab und schlug wie eine Wahnsinnige um sich.
»Esmeralda, ich bin es – Juan!« schrie er.
Da gab sie den Widerstand auf und wandte ihm das Gesicht zu.
»Mein Gott!« entfuhr es Juan entsetzt.
Ihr ehemals so schönes Gesicht war von unzähligen frischen Wunden furchtbar entstellt. Juan hatte noch nie zuvor ein häßlicheres Gesicht gesehen. Jetzt verstand er, warum sie ihrem Leben lieber ein Ende machen wollte, als ihm noch einmal unter die Augen zu treten. Vom Mitleid übermannt, schloß er sie in die Arme.
»Es wird alles wieder gut, Esmeralda«, flüsterte er ihr zu, während er sie von den Scheiterhaufen fortführte, weg von der gaffenden Menge, hinaus aus dem Alcazar, irgendwohin, wo sie allein waren. Er versuchte ihr einzureden, daß das nicht seine Gefühle zu ihr ändern würde,
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