018 - Die Vampirin Esmeralda
Verdächtiger der Inquisition die härtesten Strafen.
Doch nun geschah das Ungeheuerliche. Der erste Büßer erschien vor dem Tor. Die Wachen betrachteten ihn gelassen. Es kam nicht selten vor, daß ein Träger des San Benito erschien, um beim Inquisitor um Gnade zu betteln. Wurde solch ein Ketzer zu dreist, wurde er gesteinigt und davongejagt.
Der Büßer blieb in einiger Entfernung vom Tor stehen, sank auf die Knie und betete. Wenig später erschien ein zweiter Bußgänger, und dann kamen weitere; auf einmal waren es an die vierzig. Die Wachen wurden unruhig, zumal inzwischen auch Neugierige aufgetaucht waren, die sich um die seltsame Versammlung scharten. Der Wachkommandant beurteilte die Stimmung des Volkes als überaus feindselig.
Plötzlich erhoben sich die Büßer wie auf Kommando und begannen nacheinander ihren San Benito abzulegen; einer nach dem anderen warf sein Bußgewand den Wachen vor die Füße.
Der Wachkommandant gab seinen Leuten das Zeichen zum Einschreiten. Das Tor öffnete sich, und die Soldaten kamen heraus. Die Schaulustigen murrten laut und schüttelten drohend die Fäuste. Steine prasselten auf die Schergen der Inquisition hernieder, und plötzlich drängte die Menge nach vorn und schlug mit Prügeln und anderen primitiven Waffen auf die Soldaten ein. Einige brachen blutüberströmt zusammen.
Der Wachkommandant begann zu ahnen, daß dies der Beginn eines Aufstandes war, und befahl, das Tor zu schließen. Doch dafür war es bereits zu spät. Die Massen drängten durch das Tor, durchbrachen die Phalanx der Soldaten, drängten sie zurück, trampelten sie nieder. Ein wüstes Geschrei erhob sich, und immer wieder war der Ruf nach Luceros Kopf herauszuhören.
Inzwischen stürmte das Volk von allen Seiten auf die Mauern des Alcazar. Leitern wurden aufgestellt, über die die Aufständischen in den Jardines del Alcazar eindrangen. Die schnell herbeigeeilten Wachen wurden einfach niedergerannt; Verwundete und Tote beiseite geschoben. Väter verlangten die Freigabe ihrer Kinder aus den Kerkern, Frauen begehrten die Freilassung ihrer Männer.
Der Inquisitor, den man nach den ersten Unruhen sofort geweckt hatte, ordnete drakonische Strafen für alle Aufständischen an, ohne Rücksicht auf Stand und Herkunft. Zuerst gab er sich noch zuversichtlich, wenn ihn auch die Wut zu mancher unbedachten Äußerung veranlaßte. Doch als er von seinem Fenster aus sah, wie immer mehr Volk in den Jardines del Alcazar stürmte und in die Gebäude eindrang, bekam er Angst um sein Leben.
»Ihr müßt fliehen, Inquisitor«, bedrängten ihn seine Vertrauten. »Der Pöbel ist zu allem fähig. Er würde auch nicht davor zurückschrecken, Hand an Euch zu legen.«
»Gut, sattelt die Pferde!« Er wußte, daß man ihn sofort in Stücke reißen würde, wenn man ihn erkannte. Deshalb ordnete er an, ihm einfache Kleidung zu bringen, damit er in der Menge untertauchen konnte.
Juan Garcia de Tabera war einer von jenen gewesen, die einen San Benito trugen. Er hatte diese Verkleidung gewählt, um als einer der ersten in den Alcazar eindringen zu können. Seine Aufgabe war es, die Kerker zu stürmen und die Gefangenen der Inquisition zu befreien. Señor Fuenseca hatte ihn dafür bestimmt, und Juan war ihm dankbar, denn er hoffte, Esmeralda persönlich befreien zu können.
Er hatte einem gefallenen Soldaten das Schwert abgenommen und gebrauchte die Klinge schonungslos. Jene Soldaten, die sich ergaben, wurden nur entwaffnet und gefangengenommen, aber Juan konnte nicht für ihr Leben garantieren. Das Volk hatte unter der Willkür der Schergen der Inquisition furchtbar zu leiden gehabt, und es war verständlich, daß es sich nun an den Gefangenen rächte. Juan hätte dies gerne verhindert; er wollte nicht Grausamkeiten mit Grausamkeiten vergelten; doch ihm blieb keine Zeit, sich um die Sicherheit der gefangenen Soldaten zu kümmern.
An der Spitze der Aufständischen erreichte Juan das Tor zu den Kerkern. Die Gefangenenwärter hatten sich dahinter verbarrikadiert, aber die Aufständischen ließen sich nicht aufhalten. Sie sprengten mit einem Rammbock das Tor und drangen in die Kerker vor. Juan konnte nicht verhindern, daß ein Folterknecht, der ihnen in die Hände fiel, aufs grausamste gemartert wurde, bevor er den Tod fand.
Man nahm den Wärtern die Schlüssel zu den Zellen ab oder ließ diese sie selbst öffnen und erschlug sie anschließend. Juan war erschüttert, als die Gefangenen aus den Kerkern kamen. Sie waren alle in einem
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