0182 - Mord ist kein Geschäftsbetrieb
Kugel einschlug. Der Finger am Abzug krümmte sich.
Sekundenbruchteile können manchmal wie Stunden wirken. Vielleicht auch ist die Empfindsamkeit des Menschen in solchen Augenblicken so geschärft, dass sich jede Einzelheit derartig intensiv ins Gedächtnis einprägt, dass später der Eindruck entsteht, alles habe sich wie im Zeitlupentempo abgespielt.
Everys Finger am Abzug streckte sich wieder. In die harten, dunklen Augen trat der Ausdruck unsäglichen Erstaunens. Die Finger, die den Körper hielten, lösten sich, und plötzlich verschwanden die Hände, die Pistole, die Augen und das genau in dem Moment, in dem meine zweite Kugel fast genau an der gleichen Stelle wie die erste in die Brüstung schlug. Dann erst… erst dann drang das harte, trockene Peitschen an mein Ohr, wie es der Schuss einer Smith & Wesson hervorruft. Einen Moment später hörte ich das Aufschlagen von Everys Körper.
Ich warf mich herum, der Türöffnung zu, hinter der der Mord-Chef stand. Ich sah einen Arm und eine lange knochige Hand, die nach dem Lichtschalter tastete.
Ich feuerte, und ich traf. Die Hand färbte sich mit einem Schlag rot, und es war, als habe die Kugel, die seine Hand traf, den Mann ins Zimmer hineingerissen. Seine Gestalt erschien in der Öffnung. Sein Mund stand offen und stieß Schreie aus.
Mit einem Panthersatz stürzte ich mich auf den Mann. Er hielt noch die Pistole in der unverletzten Hand, aber er hob sie nicht. Es war der Augenblick des Zusammenbruches, und er dachte nicht mehr an Verteidigung, er dachte nur noch an Gnade.
»Nicht schießen!«, schrie er.
Ich schlug ihm das Schießeisen aus der Hand, packte ihn und riss… Fess Callhoun in das volle Licht.
***
Jawohl, der Mann, der zwischen meinen Fäusten zitterte, der Mann, der die große Mörderorganisation auf die Beine gestellt hatte, war Fess Callhoun, jener kleine, schmutzige, immer wieder gefasste Ganove, mit dem ich am Anfang der Geschichte in der chinesischen Garküche zusammengetroffen war, der mich zu Charly Brown gebracht und mit dem ich lange im Hafenviertel in einem Haus gewohnt hatte. Obwohl ich schon die Stimme erkannt hatte, konnte ich einfach nicht glauben, dass Callhoun und das Gehirn identisch sein sollten.
Über die Brüstung des Fensters schwang sich Phil, die Smith & Wesson noch in der Hand. Er grinste breit über das ganze Gesicht.
»Hölle! Woher kommst du?«
Er grinste noch breiter.
»Sag lieber ›Danke schön‹ zu mir. Ich habe das Gefühl, ich kam gerade rechtzeitig. Wie eine Henne ihre Küken, lasse ich dich nicht aus den Augen, seitdem du zusammen mit den Gangstern von Woodmans Beerdigungsunternehmen weggefahren bist. Ich hielt eure Fährte bis Lemmon Hill, und ich verlor dich erst, als du von dort verschwandst. Ich suchte nach dir, konnte dich aber nicht erwischen und rief Solway an. Inzwischen hattest du mit Solway gesprochen, und er konnte mir sagen, dass die nächste Szene in der Filbert Street spielen sollte. Aber als ich ankam, war der Film schon angelaufen, die Cops wimmelten bereits herum. Immerhin konnte ich herausbekommen, dass du einem Mann etwas von Greenwich Street 92 gesagt hattest. Ich hielt mich mit nichts mehr auf und zischte her. Gerade als ich mich noch fünfzig Schritt vom Haus entfernt befand, in dem es ja schon munter knallte, ging das Licht an, und ich sah einen Mann an dem Fenster hängen. Ich schoss ihn herunter, und ich glaube, es war ganz gut, dass ich es tat.«
»Es war die allerhöchste Eisenbahn«, brummte ich.
Phils Blick fiel auf Callhoun.
»Das ist doch nicht möglich!«, rief er. »Sage nur nicht, wir hätten den ganzen Zauber veranstaltet, um einen Wurm wie Callhoun zu fangen.«
»Der Wurm ist der Chef der Mörder-Bande«, sagte ich.
»Du bist verrückt«, antwortete Phil schlicht.
***
Ich war nicht verrückt. Achtundvierzig Stunden später gab es keinen Zweifel mehr daran, dass Fess Callhoun, ein vorbestrafter Dieb, Touristen-Ausplünderer und Zuträger kleinerer und größerer Ganoven, ein Mann, den die Polizei schon Dutzende Mal in den Händen gehabt und den die Gerichte schon rund in zehn Fällen zu größeren und kleineren Strafen verdonnert hatten, in Wahrheit der Kopf einer Mörder-Gang war. Chester Ground, der zwar schwer verwundet, aber doch mit dem Leben davongekommen war, identifizierte ihn, und schließlich legte Callhoun selbst ein Geständnis ab.
Der Gedanke, Morde zu billigsten Preisen zu verkaufen, war in ihm entstanden, als vor Jahren einmal ein Mann ihn
Weitere Kostenlose Bücher