0193 - Der Mitternachts-Vampir
es ist schon spät.«
Der Kleine saß im Bett. Seine blauen Augen waren groß. »Gehst du auch nicht weg, Mutti?« fragte er.
»Nein, ich bleibe hier. Ich muß noch arbeiten, und dann warte ich auf Vati.«
»Ach so.« Helmut ließ sich wieder zurückfallen.
»Und jetzt schlaf auch, mein Schatz.« Gabi trat noch einmal an das Bett, beugte sich nach unten und küßte ihren Sohn. Danach ging sie leise zur Tür. Sie hatte die Klinke bereits in der Hand, als sie abermals Helmuts Stimme vernahm.
»Mutti?«
»Was ist denn jetzt schon wieder?«
»Gibt es eigentlich Hexen?«
»Nein, natürlich nicht.«
»Aber du hast mir doch die Geschichte vorgelesen und da…«
»Hexen gibt es nur im Märchen. Und Märchen sind erfundene Geschichten.«
»Dann ist es gut.«
»Jetzt schlaf aber wirklich, sonst werde ich noch böse.«
»Willst du mich dann auch verbrennen, wie es die Hexe machen wollte?«
»Ich habe dir doch gesagt, daß es keine Hexen gibt.«
»Aber Vampire, nicht?«
Gabi Leber zuckte zusammen Was hatte der Junge eben gesagt?
Vampire? Sie gab keine Antwort, zögerte allerdings auch, das Zimmer zu verlassen.
»Gibt es Vampire, Mutti?«
Sie hatte sich also doch nicht verhört. Aber wie kam der Junge nur auf Vampire?
»Was meinst du damit?« fragte sie.
»Das sind doch die, die den Menschen das Blut aussaugen und zwei spitze Zähne haben, nicht?«
»Wer hat dir so einen Unsinn erzählt?«
»Das war der Klaus. Und der weiß es von seinem Bruder, weil der schon älter ist.«
»Auch wenn er älter ist, kann er so etwas nicht sagen. Der Bruder von Klaus ist ein dummer Schwätzer.«
»Mit Fünfzehn?«
»Ja.«
»Kann ich ihm das sagen?«
»Meinetwegen auch das. Sag ihm ruhig, daß es keine Vampire gibt.«
»Aber er hat welche gesehen.«
»Das kann er gar nicht, weil es keine Vampire gibt. So glaub mir endlich.«
»Dann ist es gut, Mutti.« Klein-Helmut lächelte und war beruhigt. Er drehte sich auf die rechte Seite. Automatisch fand seine Hand den flauschigen Teddy, den er immer mit ins Bett nahm. Ohne ihn konnte er nicht einschlafen. Er drückte das Stofftier an sich, als würde sein Leben davon abhängen. Morgens fand Gabi den Teddy meist auf dem Boden liegend. Ihr Sohn hatte einen unruhigen Schlaf.
Behutsam drückte sie die Tür ins Schloß und ging auf leisen Sohlen wieder nach unten. Sie hoffte, nicht noch einmal von ihrem Sohn gestört zu werden.
Als sie am Schreibtisch Platz nahm, fiel ihr Blick auf die Uhr. Noch drei Stunden bis Mitternacht Dann konnte sie meist noch eine Stunde hinzurechnen, denn vor eins erschien ihr guter Dirk nie. Wie jeden Mittwoch würde er wie tot ins Bett fallen, er konnte nicht sehr viel vertragen, im Gegensatz zu den alteingesessenen Dörflern.
Um die Müdigkeit zu vertreiben, zündete sich Gabi eine Zigarette an.
Helfen würde es sicherlich nichts, da machte sie sich etwas vor.
Oben schlief Helmut tatsächlich ein. Es war kein tiefer Schlaf, sondern ein sehr unruhiger. Es schien, als ahnte der Junge ein kommendes Unheil, das sich im Schutz des Mondlichtes auf ihn zubewegte.
Die Zeit verging. Stunden- und Minutenzeiger der Uhr wanderten weiter und näherten sich der Tageswende.
Mitternacht.
Im Dorf war alles ruhig. Man ging hier früh schlafen. Die Hügel im Westen wurden vom bleichen Lieht des Mondes gebadet. Manche Flecken waren hell erleuchtet, andere wiederum lagen in völliger Dunkelheit.
Und diese Inseln der Finsternis nutzte eine Gestalt aus, die durch das fast menschenleere Dorf schlich. Sie hielt sich immer im Schatten der Häuser. Ein großer hochgewachsener Mann, mit einem bleichen Gesicht, grauen Haaren und einem ebenso grauen Mantel bekleidet. Der Mantel besaß einen Kragen aus Fell. Unter dem Saum des Kleidungsstückes schauten die Beine der schwarzen Hose hervor.
Er war unterwegs, denn die Nacht war seine Zeit. Die Dunkelheit und das Mondlicht gaben ihm Kraft. Und wenn die Uhr des Kirchturmes Mitternacht schlug, würde er sein grausames Werk vollenden.
Denn er war ein Vampir!
Ein Vampir auf der Jagd nach Blut. Nach Menschenblut….
Vielleicht schlief der Junge deshalb so unruhig, vielleicht hatte er Vorahnungen gehabt, auf jeden Fall wälzte er sich von einer Seite auf die andere, atmete schwer und stöhnte sogar manchmal auf.
Ruhig lag das Dorf. Verlassen waren die Straßen. Stille herrschte auch in der Neubausiedlung, wo die Lebers wohnten. Die Siedlung lag an einem Hang. Es führte vom Kern des Dorfes eine Straße zu ihr hoch, die in der
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