0193 - Der Mitternachts-Vampir
Siedlung abzweigte.
Und diese Siedlung war das Ziel des Vampirs.
Niemand sah ihn, wie er durch die Straßen schlich und jeden Lichtschein mied. Er ging auf leisen Sohlen, erinnerte an eine Katze. In seinem hageren Gesicht rührte sich kein Muskel. Die Haut wirkte grau, als wäre sie mit Asche eingerieben worden. Die Hände hatte der Vampir tief in die Taschen seines ebenfalls grauen Mantels gesteckt. Der Pelzkragen hatte für ihn keinerlei Wert, da er als dämonische Kreatur weder Hitze noch Kälte spürte.
Er hatte auch keine Angst. Wer sich ihm in den Weg stellte, der wurde getötet.
Es sei denn, er besaß geweihtes Silber oder einen Eichenpflock. Mit ihm konnte man dem Vampir den Garaus machen.
Als in seiner unmittelbaren Nähe ein Automotor auf tuckerte, zuckte er zusammen. Wenig später schnitten Lichtspeere durch die Dunkelheit und hätten ihn fast erwischt. Doch der Wagen fuhr schon an und wurde in eine Kurve gelenkt.
Der Vampir schlich weiter, und seine Gier nahm mit jedem Schritt, den er hinter sich brachte, zu…
Inzwischen war der kleine Helmut eingeschlafen. Er lag in seinem Bett, drückte seinen Teddy und stöhnte hin und wieder auf. Er schlief viel zu unruhig, es fehlte das gleichmäßige Atmen. Manchmal murmelte er den Namen seiner Mutter, dann schreckte er wieder hoch, setzte sich halb hin und fiel langsam zurück.
Der Mond wanderte inzwischen weiter. Er stand jetzt so, daß sein Schein voll gegen die Wand des kleinen Hauses fiel und auch das Fenster zum Kinderzimmer ausleuchtete.
Fahl war sein Licht. Irgendwie wirkte es auch unheimlich. Für einen Menschen zumindest ungewohnt, aber einen Vampir störte es nicht. Der fühlte sich wohl.
Bereits seit einigen Minuten befand sich der Blutsauger im Garten der Lebers. Er war dem Schein des Mondes gefolgt, und er sah auch die Hauswand vor sich, die voll vom Mondlicht beschienen wurde.
Zwei Fenster befanden sich unter dem Dach.
Und an der Hauswand lehnte eine Leiter.
Der Vampir stierte sie an, packte dann zu und lehnte die Leiter gegen die Hauswand.
Das mußte klappen.
An die Rückseite des Hauses traute er sich nicht heran. Denn aus dem großen Fenster fiel ein fahler Lichtschein durch die nicht völlig zugezogenen Rollos. Dies bewies dem Vampir, daß dort noch jemand wach war. Aber hinter dem Fenster, das er sich ausgesucht hatte, da befand sich auch jemand.
Einer, der schlief.
Und vielleicht würde er ihm öffnen, damit er ins Haus kam.
Der Blutsauger kletterte die Leiter hoch. Er bewegte sich dabei geschickt, nahm Sprosse für Sprosse und schaute schließlich in das Zimmer des Jungen.
Helmut schlief Auf dem Rücken lag er. Er hatte gegen die Decke gestrampelt und sie bis an sein Fußende geschoben. Auch der Teddy lag nicht mehr an seinem Platz. Er hing an der Bettkante.
Der Junge sprach im Schlaf. Er mußte einen wirren Traum haben, denn er sprach von Hexen sowie von Hänsel und Gretel. »Nein, nicht in den Ofen«, flüsterte er, »nicht..«
Da wurde er wach.
Schweiß bedeckte sein kleines Gesicht, und er richtete sich auf. Sein erster Griff galt der Decke. Er fand sie und zog sie zu sich heran. Durch diese Bewegung fiel der Teddy zu Boden. Das merkte Helmut. Er drehte sich sofort, beugte sich aus dem Bett und faßte danach. Er bekam ihn auch zwischen die Finger, und als er sich aufrichtete, sah er plötzlich das Gesicht am Fenster.
Den Kopf des Vampirs!
Zuerst blieb der Junge stocksteif. Er konnte es nicht begreifen, daß sich dort jemand befand. Aber der Anblick des Gesichts war keine Täuschung.
Es befand sich tatsächlich hinter der Scheibe und war deshalb so deutlich zu erkennen, weil es vom Mondlicht beschienen wurde. Der kalte Schein zeichnete seine Konturen nach, und der Junge sah sogar das verzerrte Grinsen.
Weit zog der Vampir die Lippen zurück.
Seine Zähne schimmerten.
Spitze Zähne, die wie kleine Dolche wirkten, sehr lang waren und fast die Unterlippe berührten.
Jetzt bekam Helmut Angst. Wieder erinnerte er sich daran, was der Bruder seines Freundes Klaus von den Vampiren erzählt hatte. Daß sie nachts kamen, düster und schrecklich wären und zwei lange, spitze Zähne hätten.
So wie der am Fenster…
Helmut zitterte plötzlich. Die Angst war nicht mehr aufzuhalten. Er öffnete den Mund, und ein schweres Keuchen drang über seine Lippen.
Gebannt verfolgte er, wie der Blutsauger seinen rechten Arm hob und die Handfläche gegen die Scheibe drückte.
Eine große bleiche Hand mit langen, kräftigen Fingern.
Weitere Kostenlose Bücher