02 - Der 'Mann in Weiß'
das nicht identifizieren ‒ und schließlich den Boxenfunk eines Rennteams, dessen Auto sich gerade auf einer Rennstrecke befand.
Schließlich wurde es ihm zu langweilig und er stellte das Spielchen ein. Es gab da noch etwas, um das er sich unbedingt kümmern musste. Die sich überschlagenden Ereignisse der letzten Tage hatten ihm keine Zeit dazu gelassen.
Tom beschloss, das Hotelzimmer vorerst nicht zu verlassen und sich ganz auf seine Forschungen zu konzentrieren. Sogar das Frühstück wollte er sich aufs Zimmer kommen lassen.
***
Zwischenspiel
Der alte Mann mit dem tief zerfurchten Gesicht und den schlohweißen, fettigen Haaren, die ihm bis auf den Rücken fielen, lag zusammengekrümmt auf dem Boden. Direkt vor seinem Gesicht befand sich ein Würfel, auf dem ein buntes Schachbrettmuster aufgemalt war. Unablässig fuhren die trüben Blicke des Alten die Linien nach, Stück für Stück, um dann wieder von vorne zu beginnen. Dabei tränten seine Augen, aber er beachtete es nicht.
Plötzlich schrie der Alte auf. Er starrte in die Zimmerecke und riss seine Augen so weit auf, wie er konnte.
»Geh weg, will dich nicht sehen…«, brabbelte er. »Nicht töten, alle tot, mich nicht töten…« Er drückte beide Handballen fest auf die Augen und öffnete den Mund. Der Laut, den er von sich gab, erinnerte an ein waidwundes Tier.
»Träumst du wieder von den Göttern, Alter?«, fragte der Pfleger, der ins Zimmer trat. »Dein Leben muss doch ein einziger Albtraum sein. Wenn man es überhaupt ›Leben‹ nennen kann. Warte, ich hol dir was, dann kannst du malen. Malen beruhigt.«
Der Pfleger legte dem Kranken ein Blatt Papier und einen Bleistift hin. Er wusste längst, dass es sinnlos war, den Patienten in eine aufrechte Position bringen zu wollen. Er verbrachte seine Zeit zumeist im Liegen, bevorzugt in der Embryonalstellung. Und so malte er auch. Er hatte im Laufe der Jahre ein bemerkenswertes Geschick darin entwickelt.
Tatsächlich begann der Alte ohne hinzuschauen etwas auf das Papier zu kritzeln; es lag nun anstatt des Würfels, den der Pfleger weggenommen hatte, auf dem Boden vor seinem Gesicht. Der Pfleger wusste genau, was es werden würde; er hatte es schon hunderte Male gesehen. Trotzdem schauderte es ihn, als das Zeichen Form anzunehmen begann.
Doch heute malte es der Alte nicht fertig. Urplötzlich warf er den Bleistift weg, schrie erneut und begann um sich zu schlagen. Der Pfleger spritzte ihm ein Beruhigungsmittel und ließ ihn liegen, wo er war. Im Bett hätte sich der Kranke nicht wohler gefühlt als hier.
Wohler gefühlt. Was für ein Hohn…
Der Pfleger ging. Und die Albträume überschwemmten den Alten wieder mit der Wucht von Huracan , dem Gott des Windes und des Feuers.
***
Hotel El Castellano, Mérida
Plötzlich ertönte ein lautes Poltern vor der Tür, gefolgt von einem Schrei und einem Geräusch, als würde man etwas gegen die Wand schlagen. Tom spürte, wie sich seine Nackenhärchen aufrichteten. Seine Muskeln spannten sich an. Er erwartete, dass im nächsten Moment jemand durch seine Tür ins Zimmer stürmen würde.
Nichts passierte. Stattdessen ebbte der Lärm wieder ab.
Scheiße, ich sehe wohl schon Gespenster. Wahrscheinlich ist nur ein Staubsauger umgefallen oder etwas in der Art.
Gleich darauf klopfte es.
»Ja?«
»Ich bringe Ihr Frühstück, Señor Ericson«, erklang eine weibliche Stimme.
»Dann immer herein damit.«
Die Tür öffnete sich. Eine noch junge, leidlich hübsche Indigena mit schneeweißer Schürze und einem ebensolchen Häubchen schob einen Servierwagen vor sich her. Eine Schale mit verschiedenen Früchten stand darauf, vor allem das große Stück Honigmelone grinste Tom appetitlich an. Daneben befanden sich eine Kanne Kaffee und eine abgedeckte Pfanne, aus der es dampfte. Tom sog schnuppernd die Luft ein. Es roch verführerisch nach gebratenem Speck mit Eiern.
Tom lächelte. »Lassen Sie den Wagen einfach stehen, Señora, ich hole mir die Sachen von dort.«
»Nennen Sie mich Jessica, Señor.« Die Frau lächelte zurück. »Das wäre doch kein Service. Ich schiebe den Wagen zu Ihnen an den Tisch.«
»Na gut, von mir aus.«
Jessica setzte ihre Ankündigung umgehend in die Tat um. Tom hatte in der Zwischenzeit sein neues Netbook geöffnet. Es stand vor ihm auf dem Schreibtisch. Halb auf seinem Stuhl gedreht, bemerkte er, dass Jessica die Sachen auf dem Tisch neugierig musterte. Ihre Blicke schweiften über das Netbook, sein Satellitentelefon, und blieben
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