02 - Der 'Mann in Weiß'
öfters, manchmal schon bei der kleinsten Aufregung. Und wenn es ganz schlimm wurde, glaubte er, der Schädel müsse ihm platzen. Manchmal hörte er seine tote Mutter, die aus dem Himmel zu ihm sprach; dann ging der Druck sofort wieder weg. Wenn sich seine Mutter aber nicht meldete, konnte es sein, dass er für einige Sekunden das Bewusstsein verlor.
Am nächsten Morgen, als Natalia todmüde nach Hause kam und ins Bett fiel, fuhr Béjar Gaitan, dschungeltauglich ausgerüstet, nach El Cadral. Er wusste ungefähr, wo er suchen musste. Trotzdem dauerte es fast den ganzen Tag, bis er endlich fündig wurde. Sein Herz klopfte wie wahnsinnig, als er die von dickem Moos überwucherte Mauer vor sich sah. Nicht groß, etwa vier auf fünf Meter, aber wenn man wusste, wonach man suchte, war die Ebenmäßigkeit gut zu erkennen. Der Rest des Gebäudes war unter der dichten Vegetation verschwunden.
Gaitan bekämpfte den Druck in seinem Kopf mit tiefem Durchatmen. Als er sich besser fühlte, nahm er die kleine Spitzhacke und begann wie ein Wahnsinniger das Moos abzuhacken und wegzuziehen. Das Mauerstück, aus grob behauenen Quadersteinen zusammengefügt, entblätterte sich vor ihm, als würde er einen Vorhang wegziehen.
Da es langsam dunkel wurde, musste er abbrechen. Gleich am nächsten Morgen kam er zurück. Er konnte es sich zwar kaum leisten, zwei Tage hintereinander mit dem Fliegen auszusetzen, aber das hier war wichtiger. Die Ruine konnte für ihn der Schlüssel zu einem neuen Leben sein.
Schwitzend und fluchend arbeitete Gaitan an dem vergessenen Bauwerk. Um den Eingang zu finden, würde er wahrscheinlich noch ein ziemlich großes Stück freilegen müssen. Das war mehr als mühsam, manchmal fast unmöglich. Er würde sich zumindest eine Motorsäge besorgen müssen.
Als der Mexikaner in etwa drei Metern Höhe zwischen den Bäumen auf dem Maya-Bau herumkletterte, stutzte er plötzlich. Die Vegetation direkt an der Ruine wies auf einer Fläche von etwa dreißig mal dreißig Zentimetern eine leicht abweichende Färbung auf!
Gaitan stieg hinunter und begann den Boden aufzuhacken. Er stieß tatsächlich auf eine steinerne Platte, etwa zwei Zentimeter unter der Grasnarbe. Nachdem er sie ausgehebelt hatte, staunte er nicht schlecht…
Kurze Zeit später arbeitete sich Gaitan ins Innere der Ruine vor. Er hatte unglaubliche Angst und verspürte einen Druck in seinem Kopf wie nie zuvor. Als er plötzlich seine Mutter hörte, die ihm gut zuredete und ihn ermutigte, ging es ihm schlagartig besser. Wenn Mutter bei ihm war, konnte ihm nichts mehr passieren.
Als er eine große Kammer erreichte, blieb er verdutzt stehen. Seine Taschenlampe und sein Helmscheinwerfer rissen… etwas aus der Finsternis. Es sah seltsam aus und lag in einem offenen Behälter. Vorsichtig ging er um das Ding herum und betrachtete es. Er wusste nicht, was es war, aber es sah einfach abgedreht aus. Irgendwie unmöglich. Als sich Gaitan endlich entschloss, es aus dem Behälter zu nehmen, wurde es erst so richtig fantastisch. »Das… das kann doch nicht sein«, murmelte er.
In diesem Moment war sich Béjar Gaitan völlig sicher, dass er sich künftig nicht mehr mit Almosen abspeisen lassen würde, während sich die Grabräuberbande mit seiner Gabe die Taschen vollstopfte.
Wie lange werde ich noch fliegen können? Wenn die Kopfschmerzen schlimmer werden, kann es schnell aus sein. Nein, ich muss mein Geld künftig anders verdienen. So. Wie blöd war ich, dass ich das nicht schon längst gemacht habe?
Ab jetzt arbeitete Béjar Gaitan auf eigene Rechnung. Ganz wohl war ihm trotzdem nicht dabei. Der Grabräuberboss konnte ganz schön böse werden, wenn er das Gefühl hatte, dass ihn jemand hinterging.
Ich tu's trotzdem. Er wird nichts erfahren. Weil ich Andrés nichts sagen werde…
***
14. Oktober 2011, Hotel ElCastellano, Mérida
Zuerst rief Tom Ericson in seinem Netbook einige Fotos auf, die er auf der Marquesas-Insel Hiva Oa gemacht hatte. Eigentlich war er auf den südpazifischen Inseln unterwegs gewesen, um im Auftrag des Louvre das wahre Grab des Malers Gauguin zu finden. Stattdessen war er völlig überraschend auf eine uralte Maya-Stele gestoßen, die es auf Hiva Oa nicht hätte geben dürfen. Denn so weit waren die Maya allen heute geltenden Erkenntnissen zufolge niemals gekommen.
Tom hatte seinen Kollegen Seymor Branson kontaktiert, einen weltweit anerkannten Maya-Experten, der gerade mit Ausgrabungen in Yucatán beschäftigt war. Branson
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