02 - Die Nacht der D?monen
erste Schultag des Abschlussjahres, Jessie. Könntest du bitte wenigstens versuchen, nicht zum Direktor zitiert zu werden? Nur dieses eine Mal?«
»Nenn mich nicht Jessie«, hatte sie nur geantwortet.
»Versuch es wenigstens, Jessica«, hatte Anne gebeten. »Für mich, ja?«
»Du bist nicht meine Mutter. Also sag mir nicht, was ich zu tun habe.«
»Ich bin das Mutterähnlichste, was du hast!«, hatte Anne geschimpft, als sie die Geduld verlor.
Die Bemerkung hatte sie getroffen und Jessica hatte mit einer gemurmelten Antwort das Zimmer verlassen. »Meine richtige Mutter war klug genug, mich schon früh loszuwerden.«
Mit einem Ruck kehrte sie zurück in die Gegenwart und fragte sich bitter, ob Anne es als Pech betrachtete, dass sie ausgerechnet Jessica als Adoptivtochter bekommen hatte. Dann riss sie sich von ihren Gedanken los, als ein hübsches Mädchen mit kastanienbraunen Haaren zögernd das Klassenzimmer betrat.
»Tut mir Leid, dass ich zu spät komme«, sagte das Mädchen. »Ich bin neu hier in der Schule und habe mich verlaufen.« Sie stellte sich als Caryn Rashida vor. Mrs Katherine nickte, als sie ihren Namen auf der Liste entdeckte.
Caryn blickte sich nach einem freien Platz um; neben Jessica war natürlich einer frei. Aber als das Mädchen sie sah, zögerte es, als wollte es sich lieber woanders hinsetzen. Jessica war nicht überrascht. Die Einwohner von Ramsa schreckten alle beinahe unbewusst vor ihr zurück.
Wie auch immer, Caryn traf eine Entscheidung und durchquerte entschlossen den Raum. Sie streckte eine Hand aus und sagte: »Hi. Ich bin Caryn Rashida.« Dabei stolperte sie ein bisschen über ihren eigenen Nachnamen. »Warum sitzt du hier ganz allein?«
»Weil ich es so will«, antwortete Jessica kühl, während sie mit ihren smaragdgrünen Augen in Caryns blassblaue sah. Caryn hielt dem Blick einen Moment länger stand, als es die meisten Leute vermochten, aber dann blickte sie zur Seite.
Jessica hatte das Unbehagen des Mädchens und seine Entscheidung, sich trotzdem Mühe zu geben, mit Abscheu registriert. Sie verspürte nicht das geringste Verlangen, wie ein obdachloses Kind unter Caryns Fittiche genommen zu werden. Mit Abneigung konnte sie umgehen, Mitleid hingegen konnte sie nicht ertragen.
»Hättest du nicht lieber ein bisschen Gesellschaft?«, fragte Caryn mit gedämpfter Stimme, aber nicht weniger freundlich.
Jessica ignorierte den Versuch des Mädchens, sich mit ihr zu unterhalten, nahm einen Bleistift aus ihrer Tasche und begann zu zeichnen.
»Na, dann ... also, ich lasse dich wohl lieber allein«, sagte Caryn leise und ging zu einem anderen Tisch. Jessica zeichnete weiter und ignorierte das Mädchen ebenso wie die Lehrerin, die gerade etwas über die Zuteilung der Spinde herunterleierte.
Mrs Katherine bat die neue Mitschülerin, bei der Verteilung der Zahlenschlösser zu helfen, und nachdem Caryn damit fertig war, blieb sie einen Moment an Jessicas Tisch stehen. Jessica fragte sich grimmig, wieso das Mädchen so hartnäckig war.
»Ich habe noch nie begriffen, wie man diese Teile benutzt«, murmelte Caryn, während sie an ihrem Schloss herumfummelte. Sie drehte die Scheibe mit den Nummern ein dutzend Mal, jedoch ohne Erfolg. »Vielleicht ist es kaputt... Willst du es mal versuchen?«
Jessica riss Caryn das Schloss aus der Hand und hatte es in Sekundenschnelle geöffnet. »Ich hoffe nur, dass du deinen Spind dieses Jahr nicht allzu oft brauchst.«
»Wie funktionieren diese Dinger bloß?« Caryn lachte fröhlich über sich selbst.
»Das musst du schon selbst herausfinden.« Jessica ließ das Schloss einschnappen und warf es zu Caryn zurück.
»Was habe ich dir nur getan?«, fragte das Mädchen, schließlich doch von der ablehnenden Haltung entmutigt, und Jessica wäre nicht überrascht gewesen, wenn sie Tränen in seinen Augen entdeckt hätte. »Warum bist du so gemein zu mir?«
»So bin ich halt«, schnappte Jessica, schlug ihr Heft zu und packte es in ihre Tasche. »Du gewöhnst dich besser gleich daran.«
Sie drehte Caryn demonstrativ den Rücken zu, als Mrs Katherine die Klasse zu den Spinden führte. Das Mädchen unternahm den Rest des Tages keinen Versuch mehr, mit ihr zu reden. Auch sonst tat es niemand; außer der Ankunft von Caryn hatte sich nichts geändert.
2
»WIE WAR DEIN ERSTER Schultag?«, fragte Caryns Mutter, sobald das Mädchen die Küche betreten hatte.
Caryns
Weitere Kostenlose Bücher