02 - Hinter goldenen Gittern - Ich wurde im Harem geboren
wurden, und zwar von Vaters ersten Frauen. Sie waren sozusagen die Wurzeln des Harems. „Du wirst es nicht glauben“, informierte ich meinen Gast,
„aber sie haben das angenehmste Raumklima und benötigen im Gegensatz zu den Neubauten keine Klimaanlage. Im Moment wohnen Mama Patty und Mama Felicitas darin, die ältesten Frauen meines Vaters.
„Ich bin schon sehr gespannt auf die beiden“, sagte Magdalena und blickte sich neugierig um.
„Dann gibt es noch ein großes Gemeinschaftshaus, in dem an jedem Sonntag die Familienversammlung abgehalten wurde, sowie ein Kochhaus und verschiedene Nebengebäude für Gerätschaften und einige Verschläge, in denen die Autos abgestellt wurden“, fuhr ich mit meinen Erklärungen fort. „Mein Vater besaß übrigens stets mehrere davon. Die großen Wagen unterstrichen sein Ansehen als einflussreicher Mann, musst du wissen. Hier in Nigeria sind solche Äußerlichkeiten, zu denen auch teurer Männerschmuck und goldene Armbanduhren gehören, extrem wichtig.“
„Aha, und warum?“, wollte meine Schwester wissen.
„Ganz einfach“, lautete meine Antwort, „weil sichtbar zur Schau gestellter Luxus für die normalen Menschen bedeutet, dass Gott seine schützende Hand über den Besitzer hält.“
An jenem Abend, als die warme Nachtluft in den stillen Höfen erfüllt war von den süßlichen Aromen der verschiedenen Frauenparfüms, den schweren Blütendüften und den vertrauten Stimmen, die Neuigkeiten austauschten, fühlte ich mich im Harem zum ersten Mal seit langem wieder so wohl wie in den Tagen meiner Kindheit. Das Abschiedsfest für meine Mutter schien die besten Jahre des Harems zu neuem Leben zu erwecken. Ihre Seele muss sich in unserem Kreis sehr wohl gefühlt haben; es fand alles in Mutters Sinne statt.
Unser Rundgang führte Magdalena und mich zurück zum Haus meiner Kindheit, in dem ich meine ersten Lebensjahre verbracht hatte. Zwei weiß gekleidete Frauen - die eine klein und rund, die andere groß und hager - erwarteten uns neben Magdalenas Koffern. Die kugelrunde Mama Bisi nahm den Gast mit jener Herzlichkeit in die Arme, die ich an meiner Lieblingsmama so schätze. Sie reichte meiner groß gewachsenen Schwester aus Deutschland nicht mal bis zur Schulter. Mama Ada folgte dem Beispiel ihrer Freundin und Mitfrau, allerdings lag in ihren Bewegungen die für sie typische Eckigkeit, die sie nur im Umgang mit ihren wirklichen Freunden abstreift. Ihr von Liebe und Verständnis geprägter Charakter
offenbart sich meist nicht auf den ersten Blick. Dafür findet sie, auch wenn sie nur wenig spricht, immer genau die richtigen Worte.
Während Mama Bisi sich gerührt die Tränen aus den Augen wischte und kein Wort hervorbrachte, sagte Ada in ihrem harten Englisch: „Du bist das genaue Abbild deiner Mutter. Du siehst aus wie sie, als sie damals hier ankam.“
„Lisa trug keine Brille und ihr Haar war auch etwas länger“, verbesserte Mama Bisi. „Aber du hast Recht, Ada, sie ist im gleichen Alter.“ Dann schüttelte sie nachdenklich den Kopf. „Es ist schon seltsam. Die Mutter geht, die Tochter kommt. So soll es wohl sein.“ Dann putzte sie sich geräuschvoll die Nase. „Hat Choga dir schon etwas zu essen gegeben? Du bist so dünn. Genau wie deine Mutter.“
„Als Lisa hier ankam, war sie nicht so dünn. Das kam erst später“, korrigierte diesmal Ada ihre Mitfrau.
„Sie hat immer so viel gearbeitet. Überall war sie gleichzeitig“, erzählte Mama Bisi. „Choga, hol doch deiner Schwester etwas zu essen!“
Gehorsam wollte ich schon loslaufen, als Magdalena mich zurückrief: „Bitte bleib, ich bin überhaupt nicht hungrig! Aber ich würde mich gern etwas ausruhen.“
„Die Arme“, pflichtete die stets um jeden besorgte Mama Bisi bei, „Choga, du musst ihr doch etwas Ruhe gönnen.“
Mama Ada, die im Gegensatz zu Mama Bisi damals noch im Harem lebte und arbeitete, sagte nur: „Ich habe die Betten für euch beide gerichtet.“
Ich brachte meine deutsche Schwester in Mutters Zimmer, wo sie übernachten sollte. Verwundert sah sie sich darin um. Ich ertappte mich dabei, die beiden winzigen Räume mit Magdalenas Augen sehen zu wollen. Mutter war immer mit so wenigen persönlichen Sachen zufrieden gewesen. Das schmale Sofa, auf dem sie und ich Platz hatten, auf dem wir so oft gesessen hatten, wenn sie mir ihre Geschichten erzählte. Damit
man nicht sah, wie abgeschabt der Stoff war, hatte sie mehrere Decken über die Polster gebreitet. Auf der Anrichte
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