02 - Hinter goldenen Gittern - Ich wurde im Harem geboren
kam.
„Dein Hals tut wieder weh?“, fragte ich.
„Amara hat dieselben Sachen wie die Omas!“ So nennt er die Lehrerinnen, die mich ausgebildet haben. Dann stopfte er sich die Blättchen in den Mund und kaute sie genüsslich. „Wird bald wieder alles gut sein“, sagte er.
„Deine Oma Lisa hat die gleiche Krankheit wie wir beide“, sagte ich zu Josh.
„Dann bringe ich Oma Lisa von den Blättern hier mit!“, er-
■*“
widerte er kurz entschlossen und damit war das Thema vorerst erledigt.
Amara fuhr Josh und mich am Nachmittag zum einstigen Harem. Als ständige Besucherin verfügte sie bereits über einen Schlüssel zu einer der vielen Türen, die nach wie vor abgeschlossen wurden.
Auf dem Weg dorthin war mir ganz schön mulmig zumute. Dabei hatte ich seit dem Tod von Papa Felix nichts mehr zu befürchten - immerhin stand meine Mutter dem Harem vor.
Seitdem Mutter zu geschwächt war, um die Treppen in den ersten Stock zu ihrer Wohnung hochsteigen zu können, lebte sie in Bisis Räumen. In ihrem schönsten weißen Kleid saß sie aufrecht im Bett, als wir eintraten. Sie hatte sich von ihrer besten Freundin hübsch machen lassen, um ihren Enkel zu begrüßen. Sie war so tapfer! Die ganze Zeit lachte sie und erzählte lustige Geschichten, kitzelte Josh und liebkoste ihn. Während ich Bisi umarmte und stumm mit ihr unser Wiedersehen feierte, wandte der kleine Josh sich an meine todkranke Mutter.
„Oma, ich habe dir Blätter für deinen Hals mitgebracht!“, sagte er. „Tut es dir auch beim Schlucken so weh?“
Die beiden begannen eine kleine Fachsimpelei über die Bekämpfung milder Aidssymptome. Als unterhielten sie sich über ein Kinderspiel.. Ich stand dabei und war glücklich, dass die beiden sich endlich richtig kennen lernen konnten.
Am Mittag legte ich Josh oben in Mutters Bett zum Schlafen hin. Erstaunt stellte ich fest, dass die Räume meiner Kindheit unverändert aussahen. Auf der Kommode lag ein Brief. Der Umschlag war zwar geöffnet, aber der Brief wieder sorgfältig hineingelegt worden. So, als ob der Inhalt nicht mehr von Bedeutung wäre. Als ich den Absender las, setzte mein Herz für einen Augenblick aus. Der Brief stammte von Magdalena. Dann nahm ich all meinen Mut zusammen und las die Zeilen.
Liebe Mutter,
ich wollte dir schon vor so langer Zeit schreiben. Aber mir fehlte immer der Mut dazu. Denn zwischen dir und mir stand so viel Fremdheit. Ich brauchte Zeit, um sie zu überwinden. Ich danke dir für die vielen Briefe, die du mir in den letzten Jahrzehnten geschrieben hast. Jene, die du an meine Internatsadresse gerichtet hast, und die an Onkel Xaver habe ich nie erhalten.
Dein Bruder ist seit zwei Jahren tot, Tante Johanna folgte ihm vor ein paar Wochen. In ihrem Nachlass habe ich deine Briefe gefunden. Es war nicht richtig, dass die beiden all die lange Zeit den Kontakt zwischen uns unterbunden haben. Aus deinen Briefen habe ich herausgehört, dass du mich nie vergessen und immer geliebt hast. Wie kann man dies Unrecht, das uns so entfremdet hat, nur wieder gutmachen?
Ich habe lange nachgedacht und mich entschlossen, so bald als möglich nach Nigeria zu reisen. Wenn du willst, kann ich zu Ostern bei dir sein.
In Liebe, deine Tochter Magdalena.
P.S. Ich habe ein neues Foto von mir und meiner Tochter Katharina beigelegt.
Ich hastete die Treppe so schnell hinunter, wie ich konnte. Bisi hatte sich neben Mutter zum Schlafen gelegt, vertraut hielten die beiden sich an den Händen. Wie ein Paar, das einen langen gemeinsamen Weg zurückgelegt hat. Leise zog ich mich wieder zurück.
Da hörte ich Mutters brüchige Stimme: „Bleib nur, mein Kind. Du hast den Brief gefunden?“
Ich eilte zu meiner Mutter, kniete mich neben sie. „Das ist ja wundervoll, Mama! Ostern ist doch schon ganz bald. Hast du ihr geantwortet?“
„Sie wollte nicht. Sie hat nur gesagt: „Soll Magdalena mich etwa so sehen?“„, grummelte Bisi. „Aber ich habe keine Ruhe gegeben, bis deine Mutter ihr geschrieben hat.“
„Ich bin froh, dass ich es getan habe. Nicht meinetwegen, Choga Regina.
Sondern wegen Joshua, dir und Magdalena.“ Sie sah zu Bisi. „Wo hast du denn die Papiere, meine Liebe?“ Die alte Frau griff unter ihr Bett und reichte Mutter einen Umschlag, den diese öffnete und mir die Blätter darin überreichte. „Die Farm. Das hier ist die Besitzurkunde. Sie gehört jetzt dir. Ich wünsche euch, dass ihr dort glücklich werdet.“
Zunächst war ich vor Überraschung wie erstarrt.
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