02 Ich bin so Fry: Meine goldenen Jahre
pendeln.
Ich hoffe, dass Sie mir die kaum überraschende Enthüllung verzeihen, dass ich mich oft zermartert und unglücklich fühle. Der größte Teil dieser Kümmernis ist wohl der Tatsache zu verdanken, dass meine physische Erscheinungsform entweder in ihrer Reizlosigkeit widerwärtig wirkt oder unbescheiden in ihrem Verlangen nach Kalorien und anderen schädlichen Substanzen ist. Angesichts dessen werde ich näher auf das eingehen, was ich zur Coleherne-Disco und den mit ihr zusammenhängenden Gräueln der Achtziger-Szene bereits bemerkt habe.
Die schwule Identität, wenn man mir eine so gestelzte Formulierung nachsehen mag, richtete in jenen Tagen das Augenmerk mehr auf Körperliches, als es meiner Meinung nach heutzutage der Fall ist. Der Heaven (sogarbeide: der Himmel droben in den Wolken und die Adresse des Clubs unter den Bögen von Charing Cross) weiß, dass auch heute noch sehr viel Körperfaschismus existiert, aber ich denke, es lässt sich eher zu Recht als aus Nachsicht sagen, dass die Community ein wenig erwachsener geworden ist. Den Schwulen schien es vor dreißig Jahren überwiegend ums Tanzen, ums Cruisen, um Narzissmus und anonymen Sex zu gehen. Ich war schwul, und daher wurde von mir erwartet, dass auch mir an diesen Dingen lag und ich da mitzumischen in der Lage war. Mein Problem war jedoch zweifach. Erstens schien sich niemand auch nur im Entferntesten von mir angezogen zu fühlen, und zweitens hatte ich eh nicht das geringste Interesse an heftigem Tanzflächengehampel und unverbindlichen erotischen Begegnungen.
Wäre es anders gewesen, wenn einige dieser stechenden Nachtfalkenblicke sich vor Verlangen verklärt hätten, kaum dass ich zur Tür hereingetreten war? Hätte ich dann vielleicht zugestimmt, den Sextanz zu tanzen? Hasste ich mein Gesicht und meinen Körper nur deswegen mit solcher Inbrunst, weil ich annahm, dass andere es ebenfalls taten? Tat ich wirklich nichts anderes, als im Voraus zurückzuschlagen, so wie Kinder, die nur deswegen beschließen, Schach oder Geschichte oder Tennis sei langweilig, weil sie nicht auf Anhieb ihre Begabung dafür entdecken?
Blaise Pascal hat gesagt, wäre Kleopatras Nase ein wenig kürzer gewesen, hätte die Weltgeschichte eine andere Wendung genommen. Wäre meine ein wenig hübscher gewesen, hätte ich mich vielleicht genau zu dem Zeitpunkt der Geschichte in ein Leben fleischlicher Hemmungslosigkeit gestürzt, da Billionen mikroskopischkleiner Gründe dafür existierten, dass es kein lebensgefährlicheres Spiel zu spielen gab. Deswegen ist es vielleicht ganz gut, dass ich so unattraktiv war.
Sollten Sie genervt oder verärgert sein, eine solche Selbstbeschreibung lesen zu müssen, dann verstehen Sie bitte, dass es mir zwar zu jener Zeit an Selbstvertrauen mangelte, jemand anderes zu sein, ich dennoch aber sehr wohl weiß, dass viele unbestreitbar weniger gutaussehende Männer anscheinend allen Sex bekamen, nach dem es sie verlangte. Das Bild, das man von sich selbst hat, ist dabei von großer Bedeutung, aber man darf auch nicht die Qualen kleinreden, die von diesen unerbittlichen Blicken verursacht werden, die für einen sengend heißen, demütigenden Blick an deinem Körper auf und ab gleiten, bevor sie Verachtung signalisieren und zur nächsten Person schwenken, die durch die Tür kommt. Natürlich weiß ich, dass diese gierig glotzenden Gays genauso unsicher waren wie ich, wenn nicht gar unsicherer. Auch sie schlugen im Voraus zurück. Aber zu glauben, dass eine so unentspannte Gefühlskälte sexy ist … Ich bin sehr stolz und sehr glücklich, schwul zu sein, aber ich müsste lügen, wenn ich nicht sagte, dass vieles an der Welt, die in jenen Tagen von Schwulen bevölkert war, mir Übelkeit verursachte, mich anwiderte und mir Angst machte.
Auf den ersten Blick abgetan zu werden ging fast noch mehr an die Nieren als alles andere. Ohne mich darüber allzu sehr ereifern zu wollen, grenzt dieses Verhalten für mich an Rassismus, Sexismus oder jede andere Art von Vorurteil oder Snobismus. »Weil du nicht hübsch bist, will ich nichts mit dir zu tun haben«, war für mich kaum etwas anderes als die Aussage: »Weil du schwul bist, kann ich dich nicht leiden«, oder: »Weil du Jude bist,mag ich dich nicht«, oder, wo wir gerade dabei sind: »Weil du in Cambridge studiert hast, kann ich dich nicht ausstehen.« Natürlich sollte jeder, der sich für ein Opfer solcher Diskriminierung hält, dessen auch sicher sein. Wir müssen zuerst die beunruhigende
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