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02 Ich bin so Fry: Meine goldenen Jahre

02 Ich bin so Fry: Meine goldenen Jahre

Titel: 02 Ich bin so Fry: Meine goldenen Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Fry
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verabschiedete sich mit dem Versprechen, zur nächsten Woche einen Essay über das angesprochene Thema vorzulegen. Ich entwickelte mich zum Meister der Ausreden:
    »Es tut mir wirklich leid, Doktor Holland, aber ich bin immer noch damit beschäftigt, mich mit der Eschatologie von
Das verlorene Paradies
vertraut zu machen. Ich glaube, ich brauche noch eine Woche, um damit klarzukommen.« Es ist schändlich und erniedrigend, zu gestehen, wie gut ich mich darauf verstand, Wörterbücher der Literatur oder Philosophie nach Begriffen wie »Eschatologie«, »Synkrisis« und »syntagmatisch« zu durchkämmen.
    »Schön, schön. Nehmen Sie sich Zeit.«
    Nicht eine Sekunde lang ließ sich Dr. Holland zum Narren halten. Er war an die Undergraduates gewöhnt und daher vertraut mit der ermüdenden Präsentationvielsilbiger Wörter (wie ich fürchte, werden Sie beim Lesen dieses Buches schon oft zusammengezuckt sein, wenn Sie auf eines dieser langen Wörter gestoßen sind), und er war bestimmt bei mindestens zwei Stücken, in denen ich in jener Woche mitgespielt hatte, unter den Zuschauern gewesen. Er wird daher sehr genau gewusst haben, dass ich meine Zeit ausschließlich der Schauspielerei widmete und für die akademische Arbeit keine Minute übrigblieb. In Cambridge ging man mit solcherlei sehr entspannt um. Solange sie nicht glaubten, man werde das Abschlussexamen nicht schaffen, bestand keine Gefahr, dass sie sich aufplusterten. Das Risiko, nicht zu bestehen, war sagenhaft gering. Zu glauben, dass die von ihnen aufgenommenen Studenten gar nicht durchfallen konnten, gehörte vermutlich zur Arroganz der Institution. Insgesamt ließen College und Fakultät den Einzelnen vernünftigerweise gewähren. War jemand erpicht, eine Eins zu ergattern, wurde ihm dabei jede erdenkliche Hilfestellung gewährt; zog ein Student es jedoch vor, ein Ruder durchs Wasser zu ziehen oder in Strumpfhosen einherzustolzieren und dabei Pentameter herauszubrüllen, wurde auch das gutgeheißen. In der Universität herrschte eine entspannte Atmosphäre gegenseitigen Vertrauens.
    Das Frühlingstrimester verging rasend schnell in einem Wirbelsturm von Bühnenauftritten, und danach zählte ich zu den Insidern der kleinen Theaterwelt von Cambridge. Dieser Mikrokosmos war das Spiegelbild der Künstlerkreise, der Klüngel und Cliquen der Außenwelt. In der Bar des ADC-Theaters schwatzte man über Artaud und Anouilh, Stanislawski und Stein, Brecht und Blin. Die meisten angehenden Sportler, Wissenschaftler oder Politiker hätten es trotz stärksten Magens kaum ertragen,unsere Gespräche mitzuhören, ohne das Kotzen zu kriegen. Wir redeten einander vermutlich mit »Darling« an. Ja, ich bin ganz sicher. Vielleicht sogar mit »Honigpups«, »Engellieb« oder »Nippelfratze«. Widerlich, ich weiß, aber so war’s. Das herabwürdigende Epithet »lovie« war der Theaterbranche noch nicht zugeschrieben worden, aber eben das –
avant la lettre
– waren wir, lauter »Lovies«. Ermutigt wurden wir, so könnte man sagen, durch die Geschichte und unsere Vorgänger: Peter Hall, John Barton, Richard Eyre, Trevor Nunn, Nick Hytner, James Mason, Michael Redgrave, Derek Jacobi, Ian McKellen … die Liste der Schauspielgiganten, die sich an dieselbe Bar gelehnt und dieselben Träume geträumt hatten, war beeindruckend.
    Wie hatte ich es geschafft, mir so schnell diesen Platz zu erobern? War ich wirklich so talentiert? Oder waren alle anderen so untalentiert? Ich wünschte, ich wüsste es. Ich habe eine ganze Menge Bilder vor Augen, kann mich an bestimmte Gelegenheiten und Erlebnisse genau entsinnen, aber die emotionale Erinnerung ist verschwommen und bleibt unbestimmt. War ich ehrgeizig? Ja, ich denke, insgeheim war ich ehrgeizig. Immer zu stolz, um es zu zeigen, aber hungrig auf das, was man im Mikrokosmos von Cambridge als das läppische Äquivalent von Starruhm bezeichnen könnte. Ich nehme an, wenn der Kapitän des College-Rugby-Teams sieht, wie ein Frischling aufs Feld kommt und die erste Gelegenheit zu einem Run wahrnimmt, dann kann er bereits daran und an der Ballbehandlung ermessen, ob diese Person Rugby spielen kann oder nicht. Bei all meinen Unzulänglichkeiten als Schauspieler (körperliche Unbeholfenheit, zu große Betonung des sprachlichen Vortrags, die Tendenz, ironische Reue der unverfälschtenEmotion vorzuziehen) habe ich wohl bei den Vorsprechterminen gezeigt, dass ich zumindest die Gabe besaß, mich einem Publikum zu öffnen. Hinter vielem, was die

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