02 - Winnetou II
will nicht, daß sie Gnade finden sollen. Aber welche Gründe geben sie an?“
„Sie glauben, noch siegen zu können.“
„Hast du ihnen gesagt, daß noch über fünfhundert Apachen gekommen sind? Und wo diese sich jetzt befinden?“
„Auch das. Sie glaubten es nicht. Sie lachten mich vielmehr aus.“
„So sind sie dem Tod geweiht, denn ihre anderen Krieger werdenzu spät kommen.“
„Es treibt mir die Haare zu Berge, wenn ich denke, daß so viele Menschen in zwei oder drei Sekunden vom Erdboden vertilgt werden sollen!“
„Mein Bruder hat recht. Winnetou kennt weder Furcht noch Angst, aber der Rücken wird ihm kalt, wenn er daran denkt, daß er das Zeichen der Vernichtung geben soll. Ich brauche nur die flache Hand zu erheben, so krachen alle Schüsse. Ich werde noch ein Letztes versuchen. Vielleicht gibt der große Geist ihnen einen hellen Augenblick. Ich werde mich ihnen selbst zeigen und mit ihnen reden. Meine Brüder mögen mich bis an die Barriere begleiten. Wenn auch meine Worte nicht gehört werden, so darf mir der große, gute Geist nicht zürnen, daß ich seinen Befehl ausrichte.“
Wir gingen mit ihm bis zu der angegebenen Stelle. Dort schwang er sich an dem Lasso empor und ging in aufrechter Haltung oben auf dem Pfad hin, so daß die Comanchen ihn sehen konnten. Er war noch nicht weit gekommen, so sahen wir Pfeile schwirren, die ihn aber nicht trafen, da sie zu kurz flogen. Ein Schuß krachte aus der Büchse des ‚Weißen Bibers‘, mit welcher der neue Häuptling der Comanchen auf Winnetou gezielt hatte. Dieser schritt so ruhig weiter, als ob er die Kugel, welche neben ihm an den Felsen geprallt war, gar nicht fürchte oder den Schuß überhaupt nicht gehört habe. Dann blieb er stehen und erhob seine Stimme. Er redete wohl fünf Minuten lang und zwar in lautem, eindringlichem Ton. Mitten in der Rede erhob er die Hand, und sofort sahen wir, daß alle Apachen, soweit unsere Augen reichten und also wohl weiter hin um das ganze Tal, vom Boden aufstanden, um sich den Comanchen zu zeigen. So mußten die letzteren sehen, daß sie rundum von einer überlegenen Menge von Feinden eingeschlossen seien. Das war aufrichtig von Winnetou gehandelt, der letzte Versuch von ihm, sie zur Ergebung zu bewegen. Dann sprach er weiter. Da fuhr er plötzlich zu Boden nieder, so daß seine Gestalt verschwand, und zugleich krachte ein zweiter Schuß.
„Der Anführer der Comanchen hat abermals auf ihn geschossen. Das ist seine Antwort“, sagte Old Death. „Winnetou hat gesehen, daß er das Gewehr wieder lud, und sich in dem Augenblick, als es auf ihn gerichtet wurde, niedergeworfen. Nun wird – seht, seht!“
So schnell, wie Winnetou sich niedergeworfen hatte, so schnell fuhr er jetzt wieder empor. Er legte seine Silberbüchse an und drückte ab. Ein lautes Geheul der Comanchen beantwortete seinen Schuß.
„Er hat ihren Anführer niedergeschossen“, erklärte Old Death.
Jetzt erhob Winnetou abermals die Hand, indem er den Handteller flach, horizontal ausstreckte. Wir sahen alle Apachen, welche wir mit dem Blick erreichen konnten, ihre Gewehre anlegen. Weit über vierhundert Schüsse krachten –
„Kommt, Mesch'schurs!“ meinte der Alte. „Das wollen wir nicht mit ansehen. Das ist zu indianisch für meine alten Augen, obgleich ich sagen muß, daß die Comanchen es verdient haben. Winnetou hat alles mögliche getan, es zu verhüten.“
Wir kehrten zu den Pferden zurück, wo der Alte das für ihn bestimmte besichtigte. Noch eine Salve hörten wir; dann ertönte das Siegesgeschrei der Apachen. Nach wenigen Minuten kehrte Winnetou zu uns zurück. Sein Angesicht war außerordentlich ernst, als er sagte:
„Es wird sich ein großes Klagen erheben in den Zelten der Comanchen, denn keiner ihrer Krieger kehrt zurück. Der große Geist hat es gewollt, daß unsere Toten gerächt werden sollen. Die Feinde wollten nicht anders, und so konnte ich nicht anders; aber mein Blick will nicht in dieses Tal des Todes zurückkehren. Was hier noch zu geschehen hat, werden meine Krieger tun; ich reite mit meinen weißen Brüdern sogleich fort.“
Eine halbe Stunde später brachen wir, mit allem Nötigen reichlich versehen, auf. Winnetou nahm noch zehn gut berittene Apachen mit. Wie froh war ich, diesen entsetzlichen Ort verlassen zu können!
Die Mapimi liegt im Gebiet der beiden mexikanischen Provinzen Chihuahua und Cohahuela, und ist eine sehr ausgedehnte Niederung des dortigen Plateaus, welches weit über elfhundert
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