02 - Winnetou II
daß das Feuer seine Gestalt hell beleuchtete.
„Warum tust du das?“ fragte ich ihn.
Er deutete hinaus in die finstere Nacht und antwortete:
„Winnetou hat gehört, daß dort ein Pferd auf steinigem Weg strauchelte. Es kommt ein Reiter, einer meiner Krieger. Er wird absteigen wollen, um zu untersuchen, wer hier am Feuer sitzt. Darum bin ich aufgestanden, damit er bereits von weitem erkennen möge, daß Winnetou sich hier befindet.“
Sein feines Gehör hatte ihn nicht getäuscht. Es kam ein Reiter im Trab herbei, hielt bei uns sein Pferd an und stieg ab. Der Häuptling empfing ihn mit einem nicht sehr freundlichen Blick. Er tadelte ihn wegen des von dem Pferde gemachten Geräusches.
Der Gescholtene stand in aufrechter und doch ehrerbietiger Haltung da, ein freier Indianer, der aber gern die größere Begabung seines Anführers anerkennt.
„Sie kommen“, antwortete er.
„Wie viele Pferde?“
„Alle. Es fehlt kein einziger Krieger. Wenn Winnetou ruft, bleibt kein Apache bei den Frauen zurück.“
„Wie weit sind sie noch von hier?“
„Sie kommen mit dem Grauen des Tages an.“
„Gut. Führe dein Pferd zu den andern, und setze dich zu den Wachen, um auszuruhen!“
Der Mann gehorchte augenblicklich. Winnetou setzte sich wieder zu uns nieder, und wir mußten ihm von unserem Aufenthalt auf der Hazienda del Caballero und dann auch von dem Ereignis in La Grange erzählen. Darüber verging die Zeit, und vom Schlafen war natürlich keine Rede. Der Häuptling hörte unsere Erzählung an und warf nur zuweilen eine kurze Bemerkung oder Frage ein. So wich allmählich die Nacht, und die Morgendämmerung begann. Da streckte Winnetou die Hand nach Westen aus und sagte:
„Meine weißen Brüder mögen sehen, wie pünktlich die Krieger der Apachen sind. Dort kommen sie.“
Ich sah nach der angegebenen Richtung. Der Nebel lag wie ein grauer, wellenloser See im Westen und schob seine undurchsichtigen Waffen buchten- und busenartig zwischen die Berge hinein. Aus diesem Nebelmeer tauchte ein Reiter auf, dem in langer Einzelreihe viele, viele andere folgten. Als er uns erblickte, hielt er für einen Augenblick an. Dann erkannte er Winnetou und kam in kurzem Trab auf uns zu. Er war ein Häuptling, denn er trug zwei Adlerfedern im Haarschopfe. Keiner dieser Reiter hatte ein wirkliches Zaumzeug; sie alle führten ihre Pferde am Halfter, und doch war die Lenkung, als sie jetzt im eleganten Galopp heran kamen, um in fünffacher Reihe Aufstellung zu nehmen, eine so sichere, wie man sie selbst bei einer europäischen Kavallerie nur selten trifft. Die meisten von ihnen waren mit Gewehren bewaffnet, und nur wenige trugen Bogen, Lanze und Köcher. Der Anführer sprach eine kurze Weile mit Winnetou. Dann gab der letztere einen Wink, und im Nu saßen die Krieger ab. Diejenigen, welche keine Gewehre besaßen, bemächtigten sich der Pferde, um dieselben zu beaufsichtigen. Die andern schritten in die Enge hinein. Der Lasso, an welchem wir zum Pfad emporgeklettert waren, hing noch dort, und ich sah, daß sich einer nach dem andern an demselben hinaufschwang. Das ging alles so still, geräuschlos und exakt vor sich, als ob es lange vorher eingehend besprochen worden sei. Winnetou stand ruhig da, um die Bewegungen der Seinigen mit aufmerksamem Blick zu verfolgen. Als der letzte von ihnen verschwunden war, wendete er sich zu uns.
„Meine weißen Brüder werden nun erkennen, daß die Söhne der Comanchen verloren sind, wenn ich es so befehle.“
„Wir sind davon überzeugt“, antwortete Old Death. „Aber will Winnetou wirklich das Blut so vieler Menschen vergießen?“
„Haben sie es anders verdient? Was tun die weißen Männer, wenn einer von ihnen gemordet worden ist? Suchen sie nicht nach dem Mörder? Und wenn er gefunden worden ist, so treten ihre Häuptlinge zusammen und halten einen Rat, um das Urteil zu sprechen und ihn töten zu lassen. Könnt ihr die Apachen tadeln, wenn sie nichts als nur dasselbe tun?“
„Ihr tut ja nicht dasselbe!“
„Kann mein Bruder das beweisen?“
„Ja. Wir bestrafen den Mörder, indem wir ihn töten. Du willst aber auch diejenigen erschießen lassen, welche gar nicht dabei waren, als eure Dörfer überfallen wurden.“
„Sie tragen ganz dieselbe Schuld, denn sie sind damit einverstanden gewesen. Auch waren sie dabei, als die gefangenen Apachen am Marterpfahl sterben mußten. Sie sind nun die Männer unserer Frauen und Töchter und die Besitzer unseres Eigentums, unserer Pferde,
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