02 - Winnetou II
Ihr habt viel gesündigt, aber auch viel gelitten, und Eure Reue ist ernst. Wie könnte ich, wenn auch nur im stillen, mir ein Urteil anmaßen. Ich bin ja selbst auch Sünder und weiß nicht, welche Prüfungen mir das Leben bringt.“
„Viel gelitten! Ja, da habt Ihr recht, sehr, sehr recht! O du lieber Herr und Gott, was sind die Töne aller Posaunen der Welt gegen die nie ruhende Stimme im Innern eines Menschen, welcher sich einer schweren Schuld bewußt ist. Ich muß büßen und gut machen, so viel ich kann. Morgen soll ich endlich den Bruder sehen. Mir ist, als ob mir eine neue Sonne aufgehe, keine irdische. Aber das alles geht Euch nichts an. Es ist etwas anderes, was ich Euch sagen und um was ich Euch bitten muß. Wollt Ihr mir diesen Wunsch erfüllen?“
„Von Herzen gern!“
„So hört, was ich Euch sage! Es gibt einen sehr triftigen Grund, daß ich selbst dann, wenn ich für einige Zeit einmal kein Pferd besitze, meinen Sattel mit mir schleppe. Wenn man das Futter desselben aufschneidet, so gelangt man zu Gegenständen, welche ich für meinen Bruder, aber auch nur für ihn allein, bestimmt habe. Wollt Ihr Euch das merken, Sir?“
„Eure Bitte ist eine höchst bescheidene.“
„Nicht so sehr. Aber vielleicht erfahrt Ihr noch, welch ein Vertrauen ich in Euch setze, indem ich Euch bitte, das nicht zu vergessen. Und nun geht, Sir! Laßt mich allein! Es ist mir ganz so, als ob ich noch während dieser Nacht mein Schuldbuch durchlesen müsse. Morgen ist vielleicht keine Zeit mehr dazu. Es gibt Ahnungen, Ahnungen, denen man es sofort anmerkt, daß sie die Verkünderinnen der Wahrheit sind. Ich bitte Euch, geht! Schlaft in Gottes Namen; Ihr habt kein böses Gewissen. Gute Nacht, Sir!“
Ich kehrte langsam zum Lager zurück und legte mich dort nieder. Wohl erst nach Stunden schlief ich ein, kurz vor dem Morgengrauen, und noch war der Alte nicht da. Als geweckt wurde, saß er bereits auf seinem Pferd, als ob er große Eile habe, seine Todesahnung in Erfüllung gehen zu lassen. Der Gambusino erklärte, daß er sich außer einigen Schmerzen auf dem Rücken, ganz frisch und gesund fühle. Er erhielt eine Pferdedecke wie einen Frauenrock umgeschnallt und darüber eine zweite Decke als Mantel. Ein Apache nahm ihn zu sich auf das Pferd; dann brachen wir auf.
Wir kamen von neuem durch Canons, in deren Tiefen wir fast bis zur Mittagszeit ritten. Sodann aber hatten wir dieses schwierige Terrain wenigstens für heute hinter uns. Es gab grasige Ebenen, über welche wir stundenlang ritten und aus denen einzelne Berge aufstiegen. Bis dahin hatten wir stets die Fährte der Tschimarra vor den Pferdehufen.
Nun aber ließ uns der Gambusino halten und sagte in befriedigtem Ton:
„Hier müssen wir die Spur verlassen. Harton hat meinen Rat befolgt und einen Umweg eingeschlagen. Wir aber biegen nach rechts ab, wohin der gerade Weg führt.“
„Well! Folgen wir also nun Eurer Richtung.“
Im Nordwesten, wohin wir jetzt ritten, lagerten bläuliche Massen am Horizont. Der Gambusino erklärte, daß es Berge seien. Aber dieselben waren so weit entfernt, daß wir erst nach Stunden merkten, daß wir ihnen näherkamen. Kurz nach Mittag wurde eine kleine Rast gehalten; dann ging es mit erneuter Schnelligkeit weiter. Endlich sahen wir den ersten, freilich ziemlich dürren Strauch. Bald fanden wir mehrere, und dann ging es über grüne Prärien, in denen hier und da Inseln von Gebüsch zu umreiten waren. Wir lebten von neuem auf. Wirklich bewundernswert aber hielten sich unsere Pferde. Das waren freilich noch ganz andere Tiere als diejenigen, welche uns Señor Atanasio gegeben hatte. Sie trabten so frisch dahin, als ob sie soeben erst vom Lagerplatz kämen.
Die Berge waren uns mittlerweile nähergetreten. Es war aber auch Zeit dazu, denn die Sonne neigte sich bereits zu ihren Spitzen nieder. Da sahen wir den ersten Baum. Er stand mitten auf der Prärie, mit von den Stürmen zerfetzten Ästen. Aber wir begrüßten ihn als Vorboten des willkommenen Waldes. Bald rechts, bald links, bald grad vor uns erblickten wir andere, welche hier näher zusammen, dort weiter auseinander traten und endlich einen lichten Hain bildeten, dessen Boden lehnenartig emporstieg und uns auf eine Höhe brachte, jenseits welcher das Terrain steil in ein nicht zu tiefes Tal abfiel. Da hinunter mußten wir, um es zu durchkreuzen. Dort aber stieg der Boden langsam zu einer beträchtlichen Höhe an. Sie war nackt und fahl, trug aber eine grüne Waldkrone auf
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