02 - Winnetou II
ruft die Leute zusammen. Kommt nach unten. Es wird Zeit, den Gefangenen vorzunehmen.“
Ich erhob mich und ergriff seine Hand.
„Wollt Ihr mir eine Bitte erfüllen, Harry?“
„Gern, wenn Ihr nichts Unmögliches von mir verlangt.“
„Überlaßt ihn den Männern!“
„Ihr bittet gerade das, was ich nicht gewähren kann. Tausend und abertausend Mal hat es mich verlangt, ihm Angesicht zu Angesicht gegenüberzustehen und den Tod entgegenschleudern zu können; tausend und abertausend Mal habe ich mir diese Stunde ausgemalt mit allen Farben, welche der menschlichen Phantasie zu Gebote stehen; sie ist das Ziel meines Lebens, der Preis aller Leiden und Entbehrungen gewesen, die ich durchkämpft und durchkostet habe, und nun, da ich so nahe an der Erfüllung meines größten Wunsches stehe, soll ich auf die Erfüllung desselben verzichten? Nein, nein, und abermals nein!“
„Dieser Wunsch wird erfüllt werden, auch ohne Eure unmittelbare Beteiligung; der Menschengeist hat nach höheren Zielen zu streben, als dasjenige ist, welches Ihr Euch vorgesteckt habt, und das Menschenherz ist eines heiligen und größeren Glückes fähig, als es die Befriedigung auch des glühendsten Rachegefühles bietet.“
„Denkt, wie Ihr wollt, Sir, nur laß mir meine Meinung ebenfalls!“
„So wollt Ihr meinen Wunsch nicht erfüllen.“
„Ich kann nicht, wenn ich auch möchte. Kommt herab!“
Die außergewöhnliche Entwicklung des reich angelegten Knaben flößte mir ein hohes Interesse für ihn ein, ich mußte den Starrsinn, mit welchem er seinen blutigen Willen festhielt, beklagen, und eigentümlich berührt von unserer Unterhaltung, folgte ich ihm langsam nach.
Nachdem ich erst zu Swallow gegangen war, um dem braven Tier meinen Morgengruß zu bringen, trat ich zu der Versammlung, welche rund um den jetzt an einen Stamm gebundenen Parranoh stand. Man beriet über die Art seines Todes.
„Ausgelöscht muß er werden, der Halunke, wenn ich mich nicht irre“, meinte eben Sam Hawkens; „aber ich möchte meiner Liddy nicht das Herzeleid antun, dieses Urteil auszuführen, meine ich.“
„Sterben muß er; das muß so sein“, stimmte Dick Stone, mit dem Kopf nickend, bei, „und es soll mir Freude machen, ihn am Ast hängen zu sehen; denn ein anderes hat er nicht verdient. Was meint Ihr, Sir?“
„Wohl“, antwortete Old Firehand. „Unser schöner Platz hier darf aber nicht mit dem Blut dieses Scheusals verunreinigt werden. Da draußen am Bee-fork hat er die Meinen gemordet, und draußen an derselben Stelle soll er auch seine Strafe finden. Der Ort, welcher meinem Schwur gehört, soll auch die Erfüllung desselben sein.“
„Erlaubt, Sir“, fiel Stone ein, „warum soll ich den skalpierten Rotweißen umsonst auf dem Schleifholz hierher transportiert haben? Glaubt Ihr, daß ich ein Vergnügen daran finde, den Braunhäuten dafür nun meine Schmachtlocken zu überlassen?“
„Was meint Winnetou, der Häuptling der Apachen?“ fragte Old Firehand, die Gründe dieses Einwurfes begreifend.
„Winnetou fürchtet nicht die Pfeile der Ponkas; er trägt in seinem Gürtel die Haut des Hundes von Atabaskah und schenkt den Leib des Feindes seinem weißen Bruder.“
„Und Ihr?“ wandte sich der Fragende jetzt auch zu mir.
„Macht's kurz mit ihm! Furcht vor den Indianern wird wohl keiner von uns haben; aber ich halte es nicht für nötig, uns in nutzlose Gefahr zu begeben und dabei unsern Aufenthalt zu verraten. Der Mensch ist ein solches Wagnis nicht wert.“
„Ihr könnt ja hierbleiben, Sir, um Euer Schlafkabinett zu bewachen“, riet mir Harry mit zweifelhaftem Achselzucken. „Was aber mich betrifft, so verlange ich unbedingt das Urteil an demselben Ort vollstreckt, an welchem die Opfer des Mörders liegen. Das Schicksal bestätigt mein Verlangen dadurch, daß es ihn uns hier und nirgends anderswo in unsere Hände gab. Was ich verlange, bin ich denen schuldig, an deren Grab ich den Schwur getan habe, nicht zu ruhen und zu rasten, bis sie gerächt seien.“
Ich wandte mich, ohne zu antworten, ab.
Der Gefangene stand aufrecht an den Stamm gelehnt und verzog trotz der Schmerzen, welche die tief in sein Fleisch eindringenden Fesseln ihm verursachen mußten und trotz der ernsten Bedeutung, welche die Verhandlung für ihn hatte, keine Falte seines von Alter und Leidenschaft durchfurchten Angesichtes. In seinen abschreckenden Gesichtszügen stand die ganze Geschichte seines Lebens geschrieben, und der Anblick des nackten, in
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