02 - Winnetou II
wehren, weil ich so gefesselt war, daß ich kein Glied zu rühren vermochte. Dabei brüllte er:
„Willst du wohl antworten, Hund! Ich sehe, daß du lebst, daß du bei Besinnung bist, daß du antworten kannst. Wenn du nicht reden willst, werde ich dir Worte machen!“
Bei dem Auf- und Niederschlagen meines Kopfes bekam dieser eine Richtung, welche es mir ermöglichte, seitwärts zu blicken. Da sah ich Winnetou liegen, krumm geschlossen, in Form eines Ringes, ungefähr in der Weise, welche man durch den Ausdruck ‚in den Bock gespannt‘ zu bezeichnen pflegt. Eine solche Lage hätte selbst einem Kautschukmann die größten Schmerzen bereitet. Was mußte er ausstehen! Und vielleicht waren ihm die Glieder schon stundenlang in dieser unmenschlichen Weise zusammengebunden. Außer ihm und Santer sah ich nur den angeblichen Warton mit seinem Sohne und seinem Neffen; Rollins, der Gehilfe des Pedlars, war nicht da.
„Also, wirst du reden?“ fuhr Santer in drohendem Ton fort. „Soll ich dir die Zunge mit meinem Messer lösen? Ich will wissen, ob du mich kennst, ob du weißt, wer ich bin, und ob du hörst, was ich sage!“
Was hätte das Schweigen genützt? Unsere Lage wäre dadurch nur verschlimmert worden. Ich durfte mich schon um Winnetous willen nicht starrköpfig zeigen. Freilich, ob ich reden konnte, das wußte ich nicht; ich versuchte es, und siehe da, es ging; ich brachte, wenn auch mit schwacher, lallender Stimme, die Worte hervor:
„Ich erkenne Euch; Ihr seid Santer.“
„So, so! Erkennst du mich?“ lachte er mir höhnisch in das Gesicht. „Hast wohl große Freude? Bist wohl ganz entzückt, mich hier zu sehen? Eine herrliche, eine unvergleichlich frohe Überraschung für dich! Nicht?“
Ich zögerte, diese hämische Frage zu beantworten; da zog er sein Messer, setzte mir die Spitze desselben auf die Brust und drohte:
„Willst du auf der Stelle ja sagen, ein lautes Ja! Sonst stoße ich dir augenblicklich die Klinge in den Leib!“
Da warf mir Winnetou trotz seiner Schmerzen die Mahnung zu:
„Mein Bruder Shatterhand wird nicht ja sagen, sondern sich lieber erstechen lassen.“
„Schweig, Hund!“ brüllte ihn Santer an. „Wenn du noch ein Wort sagst, so spannen wir deine Fesseln so sehr an, daß dir die Knochen brechen. Also, Old Shatterhand, du Freund, dem meine ganze, ganze Liebe gehört, nicht wahr, du bist entzückt, mich wiederzusehen?“
„Ja“, antwortete ich laut und fest trotz der Worte des Apachen.
„Hört ihr es? Habt ihr es gehört?“ grinste Santer die drei anderen triumphierend an. „Old Shatterhand, der berühmte, unbesiegliche Old Shatterhand, hat eine solche Angst vor meinem Messer, daß er wie ein kleiner Junge zugibt, Freude über mich zu fühlen!“
War mein vorheriger Zustand vielleicht nicht so schlimm gewesen, wie man meinen sollte, oder bewirkte der Hohn dieses Menschen diese Veränderung in mir, ich weiß es nicht, aber ich fühlte meinen Kopf jetzt plötzlich frei, als ob ich die Kolbenhiebe gar nicht empfangen hätte, und antwortete, ihm nun meinerseits in das Gesicht lachend:
„Ihr irrt Euch da gewaltig; ich habe nicht aus Angst vor Eurem Messer ja gesagt.“
„So? Nicht? Warum denn?“
„Weil es Wahrheit ist. Ich freue mich wirklich darüber, daß ich Euch endlich wiedersehe.“
Trotz meines Lachens sagte ich dies nicht etwa ironisch oder höhnisch, sondern mit einem solchen Ausdruck der Wahrheit, daß es ihn frappierte. Er fuhr mit dem Kopf zurück, zog die Brauen empor, sah mich einige Augenblicke lang forschend an und sagte dann:
„Wie? Was? Höre ich recht? Haben die Hiebe, die du erhalten hast, dein Gehirn so erschüttert, daß du phantasierst? Du freust dich in Wirklichkeit?“
„Natürlich!“ nickte ich.
„Alle Teufel! Ich möchte fast annehmen, daß dieser Kerl im Ernst spricht!“
„Es ist allerdings mein völliger Ernst!“
„Dann bist du freilich verrückt, vollständig verrückt!“
„Fällt mir nicht ein! Ich bin so bei Sinnen, wie ich es noch niemals besser gewesen bin.“
„Wirklich? Dann ist es Frechheit, eine so bodenlose, verdammte Frechheit, wie mir in meinem ganzen Leben noch nicht vorgekommen ist! Mensch! Ich schieße dich ebenso krumm wie Winnetou, oder ich hänge dich verkehrt da an den Baum, mit dem Kopf nach unten, daß dir das Blut aus allen Löchern spritzt!“
„Das werdet ihr bleibenlassen!“
„Bleibenlassen? Warum sollte ich es nicht tun? Was für einen Grund könnte ich dazu haben?“
„Einen, den ihr
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