02 - Winnetou II
so gut kennt, daß ich ihn Euch nicht zu sagen habe.“
„Oho! Ich weiß keinen solchen Grund!“
„Pshaw! Mich täuscht Ihr nicht. Hängt mich immer auf! Dann bin ich in zehn Minuten tot, und Ihr erfahrt nicht, was Ihr wissen wollt.“
Ich hatte das Richtige getroffen; das sah ich ihm an. Er blickte zu Warton hinüber, schüttelte den Kopf und sagte:
„Wir haben diesen Halunken für tot gehalten, aber er ist nicht einmal besinnungslos gewesen, denn er hat alle meine Fragen gehört, die ich an Winnetou richtete, ohne daß diese verdammte Rothaut mir eine einzige davon beantwortet hat.“
„Ihr irrt Euch abermals“, erklärte ich. „Ich war wirklich betäubt; aber Old Shatterhand hat Grütze genug im Kopf, Euch zu durchschauen.“
„So? Nun, dann sag mir doch einmal, was das ist, was ich von euch wissen will!“
„Unsinn! Laßt diese Kinderei! Ihr werdet nichts erfahren. Ich sage Euch im Gegenteil, daß ich mich wirklich über dieses Zusammentreffen freue. Wir haben uns so lange vergeblich nach Euch gesehnt, daß diese Freude eine sehr aufrichtige und herzliche sein muß. Wir haben Euch ja endlich, endlich, endlich!“
Er starrte mich eine ganze Weile wie abwesend an, stieß dann einen Fluch aus, welcher nicht wiederzugeben ist, und schrie mich an:
„Schuft, sei froh darüber, daß ich dich für wahnsinnig halte! Denn wenn ich wüßte, daß du doch bei Sinnen seiest und mit Absicht und Überlegung so redest, so würde ich dich durch tausend Martern überzeugen, daß ich nicht mit mir scherzen lasse. Ich will also nachsichtig mit dir sein und in Ruhe mit dir reden; aber falls du mir nicht offen und gutwillig antwortest, so hast du einen Tod zu erwarten, wie ihn noch kein Mensch gestorben ist.“
Er setzte sich vor mich hin, sah einige Zeit wie nachdenkend vor sich nieder und fuhr dann fort:
„Ihr beide haltet euch für außerordentlich gescheite Kerls, natürlich für die allergescheitesten im ganzen wilden Westen; aber wie dumm, wie unendlich dumm seid ihr in Wirklichkeit! Wie war damals dieser Winnetou hinter mir her! Hat er mich erwischt? Ein jeder andere an seiner Stelle würde sich vor Scham darüber vor keinem Menschen wieder sehen lassen! Und jetzt! Wirst du eingestehen, daß ihr gestern abend meine Augen gesehen habt?“
„Ja“, nickte ich.
„Er wollte auf mich schießen?“
„Ja.“
„Ich sah es und verschwand natürlich auf der Stelle. Da ging er fort, um mich zu beschleichen. Gibst du auch das zu?“
„Warum nicht?“
„Mich beschleichen, hahahaha! Ich wußte doch, daß ich bemerkt worden war; das hätte sich ein jedes Kind gesagt. Mich dennoch beschleichen zu wollen, war eine Dummheit, die mit gar keiner anderen zu vergleichen ist. Ihr habt dafür Prügel, ja wirklich Prügel verdient. Anstatt er mich, beschlich ich ihn und schlug ihn, als er kam, mit einem einzigen Kolbenhieb nieder. Dann holte ich seine Decke, die er weggelegt hatte, nahm sie über und machte mich über dich her. Was dachtest du denn eigentlich, als du sahst, daß ich es war statt des Apachen?“
„Ich freute mich darüber.“
„Auch über die Hiebe, die du bekamst? Jedenfalls nicht. Ihr habt euch übertölpeln lassen wie achtjährige Jungens, die man nicht auslachen, sondern nur bemitleiden kann. Nun befindet ihr euch so vollständig in unserer Gewalt, daß Rettung für euch absolut unmöglich ist, wenn mich nicht etwa eine milde Regung überläuft. Es ist nicht ganz ausgeschlossen, daß ich mich zur Nachsicht geneigt fühle, aber nur in dem allereinzigen Fall, daß du mir aufrichtig Auskunft gibst. Schau diese drei Männer! Sie gehören zu mir; ich schickte sie euch in den Weg, um euch zu überlisten. Für was hältst du uns wohl jetzt?“
Wer und was er war, das ahnte ich nicht nur, sondern ich wußte es nun ganz genau; aber die Klugheit verbot mir, dies merken zu lassen; darum antwortete ich:
„Ein Schurke seid Ihr stets gewesen und seid es jedenfalls noch heut; mehr brauch ich nicht zu wissen.“
„Schön! Ich will dir eins sagen: Jetzt nehme ich diese Beleidigungen ruhig hin; ist dann unser Gespräch zu Ende, so kommt die Strafe; das schreib dir hinter die Ohren! Ich will dir zunächst sehr aufrichtig gestehen, daß wir allerdings lieber ernten als säen; das Säen ist so anstrengend, daß wir es anderen Leuten überlassen; doch wo wir eine Ernte finden, die uns keine große Mühe macht, da greifen wir schnell zu, ohne viel danach zu fragen, was diejenigen Leute dazu sagen, welche
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