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02 - Winnetou II

02 - Winnetou II

Titel: 02 - Winnetou II Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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Anstoß erregten und Widerspruch erweckten; darum mußte es so bleiben, wie es war.
    Ein Feuer brannte nicht. Da die Gegend, in der wir uns befanden, den feindlichen Sioux-Indianern gehörte, hatten wir einen guten Vorwand gehabt, das Anzünden einer Flamme zu untersagen. Ein Feuer mußte uns nicht nur den Roten, sondern auch den etwaigen Verbündeten unserer Begleiter verraten, und da unsere Augen an die Dunkelheit gewöhnt waren, hatten wir die Gewißheit, jede Annäherung nicht nur zu hören, sondern auch zu sehen. Das Hören wurde uns durch die Unterhaltung allerdings einstweilen noch erschwert; desto tätiger aber waren unsere Augen.
    Wir saßen, wie gesagt, unter den Bäumen am Waldesrand und hielten dem Wald die Gesichter zugekehrt, denn es war anzunehmen, daß, falls ein Feind sich uns nähern sollte, er dies von dort aus tun werde. Dann ging die dünne Sichel des Mondes auf und warf ihr leises, mattes Licht unter den Wipfel, der sich über uns wölbte. Das Gespräch wurde noch immer ununterbrochen fortgesetzt; man richtete die Worte zwar nicht direkt an uns, aber es war doch nicht zu verkennen, daß unsere Aufmerksamkeit gefesselt und von anderem abgelenkt werden sollte. Winnetou lag lang ausgestreckt am Boden, mit dem linken Ellbogen im Grase und den Kopf in die hohle Hand gestützt. Da bemerkte ich, daß er das rechte Bein langsam und leise näher an den Leib zog, so daß das Innenknie einen stumpfen Winkel bildete. Hatte er etwa vor, einen Knieschuß zu tun, den berühmten, aber äußerst schwierigen Knieschuß, den ich schon an anderer Stelle beschrieben habe?
    Ja wirklich! Er griff nach dem Kolben seiner Silberbüchse und legte, anscheinend ganz ohne alle Absicht oder nur spielend, den Lauf eng an den Oberschenkel. Ich folgte mit dem Auge der nunmehrigen Richtung dieses Laufes und sah unter dem vierten Baum von uns ein Buschwerk stehen, zwischen dessen Blätter ein leises, leises, wie phosphoreszierendes Schimmern zu bemerken war, zu bemerken allerdings nur für das geübte Auge eines Mannes von der Sorte des Apachen. Das waren zwei Menschenaugen; dort im Gebüsch steckte einer, der uns beobachtete. Winnetou wollte, ohne eine auffällige Bewegung zu machen, ihn durch den Knieschuß zwischen die Augen, die allein sichtbar waren, schießen. Noch ein klein, klein wenig höher die Gewehrmündungen, dann waren die Augen fixiert. Ich wartete mit größter Spannung auf den nächsten Augenblick; Winnetou verfehlte nie sein Ziel, selbst des Nachts und bei diesem schwierigen Schusse nicht. Ich sah, daß er den Finger an den Drücker legte; aber er schoß nicht; er nahm den Finger wieder weg und ließ das Gewehr sinken, um das Bein wieder auszustrecken. Die Augen waren nicht mehr zu sehen; sie waren verschwunden.
    „Ein kluger Kerl!“ raunte er mir in der Sprache der Apachen zu.
    „Einer, dem der Knieschuß wenigstens bekannt ist, wenn er ihn auch nicht selbst fertigbringt“, antwortete ich ihm leise in derselben Mundart.
    „Es war ein Bleichgesicht.“
    „Ja. Ein Sioux, und nur solche gibt es hier, macht die Augen nicht so weit auf. Wir wissen nun, daß ein Feind in der Nähe ist.“
    „Er weiß aber auch, daß wir seine Anwesenheit kennen.“
    „Leider. Er hat es daraus ersehen, daß du auf ihn schießen wolltest, und wird sich nun sehr in acht nehmen.“
    „Das nützt ihm nichts, denn ich beschleiche ihn.“
    „Höchst gefährlich!“
    „Für mich?“
    „Er wird es erraten, sobald du dich von hier entfernst.“
    „Pshaw! Ich tue, als ob ich nach den Pferden sehen will. Das fällt nicht auf.“
    „Überlaß es lieber mir, Winnetou!“
    „Soll ich dich in die Gefahr schicken, weil ich sie scheue? Winnetou hat die Augen eher gesehen als du und besitzt also das Recht, den Mann zuerst zu ergreifen. Mein Bruder mag mir nur dazu verhelfen, daß ich mich entfernen kann, ohne daß der Mann ahnt, wem es gilt.“
    Infolge dieser Aufforderung wartete ich noch eine kleine Weile und wendete mich dann an die in ihr Gespräch vertieften Gefährten:
    „Jetzt hört einmal auf! Wir brechen morgen zeitig auf und wollen nun schlafen. Mr. Rollins, habt Ihr Euer Pferd gut angebunden?“
    „Ja“, antwortete der Gefragte in unwilligem Ton über diese Störung.
    „Das meinige ist noch frei“, meinte Winnetou laut. „Ich gehe, es draußen im Grase anzuhobbeln, damit es während der Nacht fressen kann. Soll ich das meines Bruders Shatterhand auch mitnehmen?“
    „Ja“, stimmte ich bei, damit es den Anschein habe,

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