02 - Winnetou II
weißer Bruder?“
„Hm, ich möchte das letztere behaupten. Wäre die Absicht keine Böse, so könnte sie nur darin bestehen, sich unter falscher Flagge bei uns Eingang zu verschaffen, um die Vorräte selbst taxieren zu können, ohne uns merken zu lassen, daß er der eigentliche Händler, der Besitzer des Geschäftes ist. Das hat aber eigentlich gar keinen Zweck, weil der Gehilfe das Taxieren wohl ebenso gut vornehmen kann.“
„Das ist richtig. Es bleibt also nur das eine übrig, daß die drei mit dem Gehilfen Rollins' zu uns wollen, um die Felle zu sehen und sie uns dann ohne Bezahlung abzunehmen.“
„Also Raub, gar Mord?“
„Ja.“
„Ich nehme dies auch an.“
„Es ist das richtige. Wir haben es mit bösen Menschen zu tun; aber unterwegs brauchen wir keine Sorge zu haben; es wird uns nichts geschehen. Die Tat soll erst dann vorgenommen werden, wenn alle vier sich in der ‚Festung‘ befinden.“
„Und dies ist ja ganz leicht zu vermeiden. Rollins müssen wir mitnehmen; das ist nicht zu umgehen; die anderen aber verabschieden wir vorher; wir haben guten Grund dazu, denn sie wollen nach dem Fort zu ihren Familien. Dennoch aber dürfen wir auch unterwegs keine Vorsicht versäumen. Wir glauben zwar, das Richtige getroffen zu haben, können uns aber doch noch täuschen. Wir müssen diese vier Männer nicht nur bei Tage, sondern auch während der Nacht scharf beobachten.“
„Ja, das müssen wir, denn es ist anzunehmen, daß sich jemand mit ihren Pferden stets in der Nähe befindet. Es darf stets nur einer von uns beiden schlafen; der andere muß wach und zum Kampfe gerüstet sein, doch so, daß diese Leute es nicht bemerken.“
Dies waren die Mitteilungen, die wir uns gegenseitig machten. Winnetou hatte mit seinem Scharfsinn wieder einmal das Richtige getroffen, das Richtige, aber doch nicht das Vollständige; hätten wir ahnen können, worin dieses letztere bestand, so wären wir wohl kaum imstande gewesen, äußerlich ruhig zu bleiben und unsere Erregung vor unseren Begleitern zu verbergen.
Wir nahmen während des Nachmittags unsere Pferde nicht zurück, obgleich sie uns wiederholt angeboten wurden. Als der Abend anbrach, hätten wir am liebsten auf der freien, offenen Prärie gelagert, weil wir da den nötigen Rundblick hatten und jede Annäherung eines uns bisher etwa Verborgenen leichter bemerken konnten; aber es wehte ein scharfer Wind, welcher Regen mit sich brachte, und wir wären durch und durch naß geworden; darum zogen wir es doch vor, weiterzureiten, bis wir an einen Wald gelangten. Am Rande desselben gab es einige hohe und sehr dicht belaubte Bäume, deren Blätterdach den Regen von uns abhielt. Dies bildete für uns eine Annehmlichkeit, welcher wir die Gefahr unterordneten, die es wahrscheinlich heut noch für uns gab, und der wir, wenn sie doch wider Erwarten eintreten sollte, durch die gewohnte Vorsicht begegnen konnten.
Unser Proviant war nur für zwei Personen berechnet gewesen; aber Rollins hatte auch welchen mit, und so langte er heut abend für uns alle; es blieb noch welcher übrig, und morgen konnten wir uns um ein Wild bekümmern.
Nach dem Essen sollte eigentlich geschlafen werden; aber unsere Begleiter hatten noch keine Lust dazu; sie unterhielten sich sehr angelegentlich, obgleich wir ihnen das laute Reden verboten. Sogar Rollins war gesprächig geworden und erzählte einige, Abenteuer, die er während seiner Handelsreisen erlebt haben wollte. Da gab es für Winnetou und mich natürlich auch keinen Schlaf; wir mußten also wach bleiben, obwohl wir uns nicht am Gespräch beteiligten.
Diese Unterhaltung kam mir nicht ganz zufällig vor; sie machte den Eindruck auf mich, als ob sie mit Absicht in dieser Weise geführt werde. Sollte dadurch etwa unsere Aufmerksamkeit von der Umgebung abgelenkt werden? Ich beobachtete Winnetou und bemerkte, daß er den gleichen Gedanken hegte, denn er hatte alle seine Waffen, selbst das Messer auch, griffbereit und hielt scharfen Ausguck nach allen Seiten, obgleich nur ich allein, der ihn genau kannte, dies bemerkte. Seine Lider waren fast ganz auf die Augen gesenkt, so daß es schien, als ob er schlafe; aber ich wußte, daß er durch die Wimpern hindurch alles auf das sorgfältigste beobachtete. Bei mir war natürlich dasselbe auch der Fall.
Der Regen hatte aufgehört, und der Wind wehte nicht mehr so steif wie vorher. Am liebsten hätten wir den Lagerplatz nun hinaus in das Freie verlegt, aber dies konnte nicht geschehen, ohne daß wir
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