02 - Winnetou II
Winnetou los. Dieser machte nur eine kleine Seitenbewegung und packte mit schnellem Griff die Hand, welche das Messer hielt. Dann faßte er ihn grad so wie vorhin bei den Hüften, hob ihn empor und schmetterte ihn auf den Boden, wo der Rowdy besinnungs- und bewegungslos liegen blieb. Keiner der Gefährten des letzteren machte Miene, sich an dem Sieger zu vergreifen. Dieser griff so ruhig, als ob gar nichts geschehen sei, nach seinem Bier und trank es aus. Dann winkte er dem Wirt, welcher sich angstvoll nach der in sein Kabinett führenden Tür zurückgezogen hatte, zu sich, nahm einen Lederbeutel aus dem Gürtel und legte ihm aus demselben einen kleinen gelben Gegenstand in die Hand, dabei sagend:
„Nehmt das für das Bier und für das Fenster, Master Landlord! Ihr seht, daß der ‚Wilde‘ seine Schuld bezahlt. Hoffentlich erhaltet Ihr von den Zivilisierten Euer Geld. Sie wollen keine ‚Rothaut‘ bei sich dulden. Winnetou, der Häuptling der Apachen, aber geht nicht, weil er sich vor ihnen fürchtet, sondern weil er erkannt hat, daß nur die Haut, nicht aber die Seele dieser Bleichgesichter von heller Farbe ist. Es gefällt ihm nicht bei ihnen.“
Er verließ das Lokal, nachdem er seine Silberbüchse ergriffen hatte, ohne noch irgendwem auch nur einen Blick zuzuwerfen; auch mich sah er nicht an.
Jetzt kam wieder Leben in die Rowdies. Ihre Neugierde aber schien größer zu sein als ihr Zorn, ihre Beschämung und auch ihre Sorge um den bewußtlosen Gefährten. Sie fragten vor allen Dingen den Wirt, was er erhalten habe.
„Ein Nugget“, antwortete er, indem er ihnen das über haselnußgroße Stück gediegenen Goldes zeigte. „Ein Nugget, welches wenigstens zwölf Dollars wert ist. Da ist das Fenster reichlich bezahlt; es war alt und morsch und hatte mehrere Sprünge in den Scheiben. Er schien den ganzen Beutel voll solcher Nuggets zu haben.“
Die Rowdies äußerten ihren Ärger darüber, daß eine Rothaut sich im Besitz einer solchen Menge Goldes befinde. Das Goldstück ging von Hand zu Hand und wurde nach seinem Wert abgeschätzt. Wir benutzten die Gelegenheit, um unsere Zeche zu bezahlen und uns zu entfernen.
„Nun, was sagt Ihr zu dem Apachen, Master?“ fragte mich Old Death, als wir uns glücklich draußen befanden. „Kann es einen zweiten solchen Indsman geben? Die Schurken wichen vor ihm zurück wie die Sperlinge beim Anblick eines Falken. Wie schade, daß ich ihn nicht mehr sehe. Wir hätten ihm ein wenig nachgehen können, denn ich möchte gar zu gern wissen, was er hier treibt, ob er außerhalb der Stadt lagert oder in einem Gasthaus sich niedergelassen hat. Er muß sein Pferd irgendwo eingestellt haben, denn ohne Roß ist nie ein Apache und auch Winnetou nicht zu denken. Übrigens, Sir, habt auch Ihr Eure Sache gar nicht übel gemacht. Beinahe wäre mir Angst geworden, denn es ist immer gefährlich, mit solchen Leuten anzubinden; aber die kühne und gewandte Art, mit welcher Ihr die Hundebestie bedientet, läßt vermuten, daß Ihr nicht allzu lange Zeit ein Greenhorn bleiben werdet. Aber nun sind wir in der Nähe unseres Logementes angekommen. Gehen wir hinein? Ich denke nicht. Ein alter Trapper wie ich klemmt sich nicht gern zwischen Mauern ein, und ich habe am liebsten den freien Himmel über mir. Laufen wir also noch ein wenig in diesem schönen Matagorda umher. Ich wüßte nicht, wie wir die Zeit anders totschlagen wollten. Oder liebt Ihr es vielleicht, ein Spielchen zu machen?“
„Nein. Ich bin kein Spieler und habe auch nicht die Absicht, einer zu werden.“
„Recht so, junger Mann! Hier aber spielt fast jedermann, und nach Mexiko hinein wird es noch viel schlimmer; da spielen Mann und Weib, Katze und Maus, und die Messer sitzen nicht sehr fest. Erfreuen wir uns an einem Spaziergang! Dann essen wir und legen uns beizeiten auf das Ohr. In diesem gesegneten Land weiß man ja niemals, ob, wie oder wo man sich des andern Abends zur Ruhe legen kann.“
„So schlimm wird es doch wohl nicht sein!“
„Ihr dürft nicht vergessen, Sir, daß Ihr Euch in Texas befindet, dessen Verhältnisse noch bei weitem nicht geordnet sind. Wir haben zum Beispiel vor, nach Austin zu gehen. Es ist aber sehr fraglich, ob wir dorthin kommen. Die Ereignisse in Mexiko haben ihre Wogen auch über den Rio Grande herübergewälzt. Da geschieht manches, was sich sonst nicht zu ereignen pflegt, und überdies haben wir mit den Einfällen dieses Gibson zu rechnen. Wenn es ihm in den Sinn gekommen ist, die Fahrt
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