Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
02 - Winnetou II

02 - Winnetou II

Titel: 02 - Winnetou II Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
Vom Netzwerk:
er mich gesehen und selbstverständlich auch erkannt hatte. Er mußte einen Grund dazu haben; darum setzte ich mich wieder nieder und bemühte mich, eine gleichgültige Miene zu zeigen. Man sah es ihm an, daß er die Situation sofort begriffen hatte. Seine Augen zogen sich ein ganz klein wenig und wie verächtlich zusammen, als er einen zweiten, kurzen Blick auf unsere Gegner warf, und als wir uns nun niedersetzten und die Revolver wieder einsteckten, zeigte sich ein kaum bemerkbares wohlwollendes Lächeln auf seinen Lippen.
    Die Wirkung seiner Persönlichkeit war so groß, daß sich bei seinem Eintreten eine wahre Kirchenstille einstellte. Diese Geräuschlosigkeit mochte den Wirt überzeugen, daß die Gefahr vorüber sei. Er steckte den Kopf zur halb geöffneten Tür herein und zog dann, als er sah, daß er nichts zu fürchten habe, die übrige Gestalt vorsichtig nach.
    „Ich bitte um ein Glas Bier, deutsches Bier!“ sagte der Indianer mit wohlklingender, sonorer Stimme und im schönsten, geläufigen Englisch.
    Das war den Rowdies merkwürdig. Sie steckten die Köpfe zusammen und begannen zu flüstern. Die versteckten Blicke, mit denen sie den Indianer musterten, ließen verraten, daß sie nichts Vorteilhaftes über ihn sprachen.
    Er erhielt das Bier, hob das Glas gegen das Fensterlicht, prüfte es mit einem behaglichen Kennerblick und trank.
    „Well!“ sagte er zum Wirt, indem er mit der Zunge schnalzte. „Euer Bier ist gut. Der große Manitou der weißen Männer hat sie viele Künste gelehrt, und das Bierbrauen ist nicht die geringste unter denselben.“
    „Sollte man glauben, daß dieser Mann ein Indianer sei!“ sagte ich leise zu Old Death, so tuend, als ob Winnetou mir unbekannt sei.
    „Er ist einer, und zwar was für einer!“ antwortete mir der Alte ebenso leise, aber mit Nachdruck.
    „Kennt Ihr ihn? Habt Ihr ihn schon einmal getroffen oder gesehen?“
    „Gesehen noch nicht. Aber ich erkenne ihn an seiner Gestalt, seiner Kleidung, seinem Alter, am meisten aber an seinem Gewehr. Es ist die berühmte Silberbüchse, deren Kugel niemals ihr Ziel verfehlt. Ihr habt das Glück, den berühmtesten Indianerhäuptling Nordamerikas kennenzulernen, Winnetou, den Häuptling der Apachen. Er ist der hervorragendste unter allen Indianern. Sein Name lebt in jedem Palast, in jeder Blockhütte, an jedem Lagerfeuer. Gerecht, klug, ehrlich, treu, stolz, tapfer bis zur Verwegenheit, Meister im Gebrauch aller Waffen, ohne Falsch, ein Freund und Beschützer aller Hilfsbedürftigen, gleichviel, ob sie rot oder weiß von Farbe sind, ist er bekannt über die ganze Länge und Breite der Vereinigten Staaten und weit über deren Grenzen hinaus als der ehrenhafteste und berühmteste Held des fernen Westens.“
    „Aber wie kommt er zu diesem Englisch und zu den Manieren eines weißen Gentleman?“
    „Er verkehrt sehr viel im Osten, und man erzählt sich, ein europäischer Gelehrter sei in die Gefangenschaft der Apachen geraten und von ihnen so gut behandelt worden, daß er sich entschlossen habe, bei ihnen zu bleiben und die Indianer zum Frieden zu erziehen. Er ist der Lehrer Winnetous gewesen, wird aber mit seinen philanthropischen Ansichten nicht durchgedrungen und nach und nach verkommen sein.“
    Das war sehr, sehr leise gesprochen worden; kaum hatte ich es verstehen können. Und doch wendete sich der über fünf Ellen von uns entfernte Indianer zu meinem neuen Freund:
    „Old Death hat sich geirrt. Der weiße Gelehrte kam zu den Apachen und wurde freundlich von ihnen aufgenommen. Er wurde der Lehrer Winnetous und hat ihn unterrichtet, gut zu sein und die Sünde von der Gerechtigkeit, die Wahrheit von der Lüge zu unterscheiden. Er ist nicht verkommen, sondern er war hochgeehrt und hat sich niemals nach den weißen Männern zurückgesehnt. Als er starb, wurde ihm ein Grabstein errichtet und mit Lebenseichen umpflanzt. Er ist hinübergegangen in die ewig grünenden Savannenländer, wo die Seligen sich nicht zerfleischen und vom Angesichte Manitous wonniges Entzücken trinken. Dort wird Winnetou ihn wiedersehen und allen Haß vergessen, den er hier auf Erden schaut.“
    Old Death war unendlich glücklich, von diesem Mann erkannt worden zu sein. Sein Gesicht strahlte vor Freude, als er ihn fragte:
    „Wie, Sir, Ihr kennt mich? Wirklich?“
    „Ich habe Euch noch nicht gesehen, aber dennoch sofort erkannt, als ich hereintrat. Ihr seid ein Scout, dessen Name bis hinüber zum las Animas erklingt.“
    Nach diesen Worten wendete er

Weitere Kostenlose Bücher