02 - Winnetou II
der Neger stimmten ein, und so waren wir wohl über zehn Minuten lang ziemlich laut, bis dann Old Deaths Stimme sich hören ließ:
„Holla! Schreit nicht länger wie Löwen! Es ist nicht mehr nötig, denn ich habe ihn. Werde ihn bringen.“
Wir hörten es dort, wo des Negers Pferd angepflockt stand, rascheln, und dann kam der Alte schweren Schrittes herbei, um die Last, welche er trug, vor uns niederzulegen.
„So!“ sagte er. „Das war ein sehr leichter Kampf, denn der Lärm, den ihr machtet, war so bedeutend, daß dieser Indsman sogar ein Erdbeben mit allem, was dazugehört, nicht hätte bemerken können.“
„Ein Indianer? So sind noch mehrere in der Nähe?“
„Möglich, aber nicht wahrscheinlich. Aber nun möchten wir doch ein wenig Licht haben, um uns den Mann ansehen zu können. Habe da vorn trockenes Laub und auch ein kleines verdorrtes Bäumchen gesehen. Werde es holen. Achtet einstweilen auf den Mann!“
„Er bewegt sich nicht. Ist er tot?“
„Nein, aber sein Bewußtsein ist ein wenig spazierengegangen. Habe ihm mit seinem eigenen Gürtel die Hände auf den Rücken gebunden. Ehe die Besinnung ihm wiederkommt, werde auch ich zurück sein.“
Er ging, um das erwähnte Bäumchen abzuschneiden, welches wir, als er es gebracht hatte, mit den Messern zerkleinerten. Zündhölzer hatten wir, und so brannte bald ein kleines Feuer, dessen Schein hinreichte, den Gefangenen genau betrachten zu können. Das Holz war so trocken, daß es fast gar keinen Rauch verbreitete.
Jetzt sahen wir uns den Roten an. Er trug indianische Hosen mit Lederfransen, ein ebensolches Jagdhemd und einfache Mokassins ohne alle Verzierung. Sein Kopf war glatt geschoren, so daß man auf der Mitte des Scheitels nur die Skalplocke stehengelassen hatte. Sein Gesicht war mit Farbe bemalt, schwarze Querstriche auf gelbem Grund. Seine Waffen und alles, was an seinem Ledergürtel gehangen hatte, waren ihm von Old Death genommen worden. Diese Waffen bestanden in einem Messer und Bogen mit ledernem Pfeilköcher. Die beiden letzteren Gegenstände waren mit einem Riemen zusammengebunden. Er lag bewegungslos und mit geschlossenen Augen da, als ob er tot sei.
„Ein einfacher Krieger“, sagte Old Death, „der nicht einmal den Beweis, daß er einen Feind erlegt hat, bei sich trägt. Er hat weder den Skalp eines von ihm Besiegten am Gürtel hängen, noch sind seine Leggins mit Menschenhaarfransen versehen. Nicht einmal einen Medizinbeutel trägt er bei sich. Er besitzt also entweder noch keinen Namen oder er hat ihn verloren, weil ihm seine Medizin abhandengekommen ist. Nun ist er als Kundschafter verwendet worden, weil das eine gefährliche Sache ist, bei welcher er sich auszeichnen, einen Feind erlegen und also sich wieder einen Namen holen kann. Schaut, er bewegt sich. Er wird gleich zu sich kommen. Seid still!“
Der Gefangene streckte die Glieder und holte tief Atem. Als er fühlte, daß ihm die Hände gebunden waren, ging es wie ein Schreck durch seinen Körper. Er öffnete die Augen, machte einen Versuch, emporzuspringen, fiel aber wieder nieder. Nun starrte er uns mit glühenden Augen an. Als sein Blick dabei auf Old Death fiel, entfuhr es seinem Munde:
„Koscha-pehve!“ Das ist ein Comanchenwort und heißt genausoviel wie Old Death – der ‚Alte Tod‘.
„Ja, ich bin es“, nickte der Scout. „Kennt mich der rote Krieger?“
„Die Söhne der Comanchen kennen den Mann, welcher diesen Namen führt, sehr genau, denn er ist bei ihnen gewesen.“
„Du bist ein Comanche. Ich sah es an den Farben des Krieges, welche du im Gesichte trägst. Wie lautet dein Name?“
„Der Sohn der Comanchen hat seinen Namen verloren und wird nie wieder einen tragen. Er zog aus, ihn sich zu holen; aber er ist in die Hände der Bleichgesichter gefallen und hat Schimpf und Schande auf sich geladen. Er bittet die weißen Krieger, ihn zu töten. Er wird den Kriegsgesang anstimmen, und sie sollen keinen Laut der Klage hören, wenn sie seinen Leib am Marterpfahle rösten.“
„Wir können deine Bitte nicht erfüllen, denn wir sind Christen und deine Freunde. Ich habe dich gefangengenommen, weil es so dunkel war, daß ich nicht sehen konnte, daß du ein Sohn der mit uns in Frieden lebenden Comanchen bist. Du wirst am Leben bleiben und noch viele große Taten verrichten, so daß du dir einen Namen holst, vor welchem eure Feinde erzittern. Du bist frei.“
Er band ihm die Hände los. Ich hatte erwartet, daß der Comanche nun erfreut aufspringen
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