0205 - Die goldene Kralle
nicht hören, denn diese Sache ging nur ihn und seinen Bruder etwas an.
»Nimm mich, Gerd!«
Ein irres Geräusch drang aus dem Maul der Bestie. Es war eine Mischung zwischen einem menschlichen Lachen und dem Fauchen des Dschungeltigers. »Du kommst auch noch dran, Hans. Das schwöre ich dir. Geh lieber jetzt, geh…«
»Nein, ich bleibe!«
»Dann muß ich dich erschießen!«
»Versuch es!«
Die Bestie hob den menschlichen Arm um eine Idee an. Sie drehte sich auch von mir weg, und ich sah darin meine große Chance.
Eine Sekunde der Unachtsamkeit reichte.
Eine Waffe peitschte.
Meine Waffe!
Ich hatte wirklich den Bruchteil einer Sekunde früher gefeuert, und das geweihte Silbergeschoß drang in die linke, menschliche Schulter des Tigermenschen. In dieser Hand hielt er auch die Waffe.
Durch den Kugeleinschlag wurde der Arm nach unten geschleudert, die Bestie kam nicht mehr zum Schuß.
Hans König stand wie eine Statue auf dem Fleck. Ich war das genaue Gegenteil. Über den am Boden liegenden Will Mallmann sprang ich hinweg, stand plötzlich vor der Bestie und riß ihr die Geisel aus den Armen.
Harry flog irgendwohin, ich wollte jetzt diesen unheimlichen Mörder.
Er war nicht tot, obwohl ihn die Kugel getroffen hatte. Die Kralle konnte er nach wie vor bewegen.
Sie hämmerte nach unten.
Ich konnte meinen rechten Arm nicht mehr aus der Gefahrenzone bringen. Die Kralle traf meine Hand, riß die Haut auf, und ich verlor die Waffe.
Das Monstrum schüttelte sich.
Der nächste Schlag.
Diesmal in Kopfhöhe, und der Wertiger rammte seinen Arm wuchtig nach vorn.
Ich tauchte zur Seite und zog meinen Dolch. Dann stieß ich zu.
Von unten nach oben hieb die Klinge in das Fell und tiefer hinein.
Ich hatte das Gefühl, als wäre der Wertiger an der Bar festgenagelt.
Hastig sprang ich zurück, damit mich nicht noch ein unkontrollierter Schlag erwischte. Unkontrolliert deshalb, weil der Wertiger sein Ende kommen sah und durchdrehte.
Wir alle erlebten schreckliche Sekunden und eine Szene, die wir wohl nie vergessen werden.
Ich hatte den Wertiger nicht an der Bar festgenagelt. Er stieß sich ab und torkelte nach vorn, der Mitte des Raumes entgegen. Mit seiner Kralle schlug er rasend in der Luft umher, sein Fell wurde plötzlich grau und auch die menschliche Seite des Gesichts zeigte einen braungrauen, fauligen Schimmer.
Er drehte sich im Kreis, war völlig von der Rolle, winkelte dann den rechten Arm an und zerstörte sich selbst.
Mit der goldenen Kralle brachte er sich um. Immer wieder stieß er sie sich in den Körper und den Kopf, so lange, bis kein Leben mehr in ihm war. Am Boden lag ein graubraunes Etwas, aus dem die Kralle hervorschaute, ihre goldene Farbe verlor, stumpf wurde und langsam abbröckelte.
Die Bestie hatte ihr Ende gefunden.
Ich kümmerte mich nicht mehr um sie, sondern glitt neben Will Mallmann auf die Knie.
Der Kommissar schaute mich an.
»Verdammt käsig siehst du aus«, sagte ich rauh.
»Halb so schlimm. Die Bleipille steckt in der Hüfte. Na, die Ärzte werden sie schon herauspflücken. Du wirst sehen, in einigen Tagen bin ich wieder ganz der alte…«
Das würde er nicht sein, denn nach den Worten umfing ihn die Bewußtlosigkeit.
Mirko lebte nicht mehr. Der eine Schlag mit der goldenen Kralle hatte gereicht, sein Leben auszulöschen. Weitere Opfer würde es jedoch nicht mehr geben.
***
Kommissar Kölzer konnte nur noch staunen. Suko gab sich gelassener. Er war Szenen wie diese gewohnt. Im Lokal wimmelte es von Polizisten. Die Verletzten waren abtransportiert worden, und andere waren zum Glück mit dem Schrecken davongekommen.
Hans König saß mit seiner ehemaligen Frau an einem Tisch und redete auf sie ein. Über Angelas Schulter hing eine leichte Decke.
Die Frau fror aus Angst.
Kölzer wand sich wie ein Wurm, als er an die Presseleute dachte, die draußen herumstanden. Es hatte sich wie ein Blitz auf dem Kietz herumgesprochen, daß etwas passiert war. Jetzt wollte natürlich jeder Genaues wissen.
Kölzer hatte sich vorgenommen, zu schweigen. Auch Hans König würde nichts sagen, dessen waren wir sicher.
Wir verdrückten uns so bald wie möglich. Eigentlich hatte ich vorgehabt, am frühen Morgen zusammen mit Suko nach London zu fliegen, doch wir wollten erst abwarten, wie es Will Mallmann erging. Die Ärzte mußten ihm die Kugel tatsächlich herausoperieren.
Mit Kommissar Kölzers Hilfe schafften wir es, Will Mallmann am anderen Tag zu besuchen.
Er litt noch unter den Folgen
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