0205 - Die goldene Kralle
Harry. »Glauben Sie mir.«
»Man hat mich gewarnt«, sagte das Mädchen leise.
Ich zuckte herum. »Wer?«
»Er war hier. Mein ehemaliger Mann.« Sie drehte sich und streckte den Arm aus. »Da haben wir am Tisch gesessen. Er wollte mich hier wegholen…«
»Angela!« sagte Harry scharf.
»Seien Sie ruhig!« mischte sich Will Mallmann. »Hier wird nichts verschleiert!«
Ich hatte mich inzwischen mit der Zeugin beschäftigt. Aus einer Tasche holte sie Zigaretten und steckte sich das Stäbchen zwischen die rot geschminkten Lippen.
»Es war so«, sagte sie, als die Zigarette brannte. »Er, das heißt König, sagte mir, daß sein Bruder Gerd ein Monster sein soll. Eine Bestie, eine Mischung zwischen Mensch und Tier, und dieses Wesen soll herumlaufen und morden…«
»Er hat nicht gelogen«, erwiderte ich leise.
»Nicht?« Sie hob den Kopf und schaute mich an. Ich sah Tränen in ihren Augen. »Dann stimmt es wirklich, daß Gerd ein Mörder ist?«
»Ja.«
»Oh Gott.«
»Wo steckt Ihr ehemaliger Mann jetzt?« wollte ich wissen. »Wir suchen ihn auch.«
Angela warf Harry einen schnellen Blick zu. Will und ich bemerkten, daß der Clubchef den Kopf schüttelte. Kurz nur, aber es reichte.
»Sie wissen etwas«, sagte der Kommissar. »Und glauben Sie nur nicht, daß wir hier langes Federlesen machen, Meister. Wir nehmen Sie mit und lochen Sie ein. Es sind Menschen auf schreckliche Art und Weise ums Leben gekommen. In Hamburg wütet eine Bestie. Niemand weiß, wieviele Opfer noch auf seiner Liste stehen. Sie können das nächste sein. Wenn Sie also nicht mit uns zusammen…«
»Er hat ihn hinausschaffen lassen«, erklärte Angela.
»Wie?« fragte Will.
»Mirko, unser Rausschmeißer, hat sich seiner angenommen. Ich wollte es ja auch und…« Sie verstummte.
Die Praktiken waren mir bekannt. »Liegt er auf dem Hinterhof?« schnappte ich.
»Ja.«
Will und ich rutschten von den Hockern. »Und daß Sie mir hierbleiben«, sagte der Kommissar.
Die anderen Gäste schauten verwundert, als wir quer durch das Lokal eilten und auf die zweite Tür zustrebten.
Wir erreichten sie nicht mehr, denn plötzlich wurde sie aufgestoßen. Ein schwerverletzter Mann torkelte in den Raum. Sein Gesicht war schmerzverzerrt. Er hatte seine Hände gegen eine Wunde in der Körpermitte gepreßt. Zwischen den Fingern quoll Blut hervor.
»Mirko!« schrie Angela.
Da fiel der Mann. Er prallte zu Boden, bevor wir ihn auffangen konnten. Und hinter ihm erschien eine gewaltige Gestalt. Halb Mensch – halb Tiger.
Die Bestie war da!
***
Ich hätte nie geglaubt, daß Menschen so schnell reagieren können.
Kaum war der Wertiger aufgetaucht, da ertönten schon die ersten Schreie. Grell und spitz stachen sie in unseren Ohren. Menschen sprangen von ihren Sitzgelegenheiten auf. Vor wenigen Sekunden noch mit der schönsten Nebensache der Welt beschäftigt, wurden sie jetzt in den gewaltigen Strudel von Angst und Entsetzen gerissen, den das Auftauchen der Bestie hervorgerufen hatte.
Wie Kommissar Mallmann so hatte auch ich meine Beretta hervorgerissen.
Ich wollte den Unhold mit Silberkugeln töten, doch es blieb beim Vorsatz. Die Pistole bekam ich zwar in die Hand, als ich allerdings auf meinen Gegner zielen wollte, da liefen mir die ersten Gäste in ihrer Panik genau in die Schußlinie, und ich konnte mein Vorhaben vergessen.
Der Wertiger nahm nicht soviel Rücksicht. Ich hörte sein Gebrüll, sah seinen geteilten und veränderten Kopf für einen Moment dicht vor mir, dann flog mir ein halbnacktes Mädchen entgegen, das fürchterlich schrie und dessen rechte Schulter die Wunden der goldenen Kralle zeigte.
Wir kollidierten.
Der Wertiger hatte dem Mädchen einen sehr wuchtigen Stoß gegeben. Obwohl sie nicht viel wog, riß sie mich doch von den Beinen. Ich streckte meinen linken Arm nach hinten, suchte irgendwo Halt, rutschte mit der Handfläche über eine Tischplatte, räumte Gläser, Flaschen sowie einen Kühler ab und schleuderte nachträglich noch den Tisch um.
Das Mädchen fiel auf mich, so daß ich Mühe hatte, wieder auf die Beine zu kommen, weil es sich in seiner großen Panik an mich festklammerte.
Will Mallmann hatte es etwas besser gehabt. Nur sein Schußfeld war beeinträchtigt worden, aber ihm wurde kein menschliches Hindernis entgegengeworfen, dafür allerdings rannte ihn einer der Gäste fast über den Haufen. Jeder wollte so schnell wie möglich den rettenden Ausgang erreichen. Da er nicht so breit war und alle Menschen auf einmal
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